TV-Kritik: „American Gods“: Götterepos gefällt mit guten Schauspielern und Inszenierung
Splatter- und Schockmomente nichts für Zartbesaitete
Rezension von Marcus Kirzynowski – 30.04.2017, 12:00 Uhr
Die Entstehungsgeschichte von „American Gods“ klingt vielversprechend: Die neue Starz-Serie basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Neil Gaiman, jenem britischen Erfolgsautor, der zuerst mit Skripts für ungewöhnliche Comics wie „Sandman“ bekannt wurde. Für die TV-Adaption zeichnet neben Michael Green („Heroes“, „Alien: Covenant“) auch Bryan Fuller verantwortlich, der sich schon vor seinem Showrunner-Posten bei „Hannibal“ mit kleinen, aber umso feineren Serien wie „Dead Like Me – So gut wie tot“ oder „Pushing Daisies“ eine treue Fangemeinde erworben hat. Die Serie selbst war zuerst beim Branchenprimus HBO in Entwicklung, wanderte dann aber, nachdem es dort mit den Drehbüchern nicht so richtig voran ging, zu dessen Konkurrenten auf dem US-Pay-TV-Markt ab.
Bevor die Handlung richtig losgeht, leistet sich die Pilotfolge erst einmal einen längeren Ausflug in die Vergangenheit, zum ersten Betreten des amerikanischen Kontinents durch Wikinger (dieses Erzählmuster wird in den folgenden Episoden beibehalten, Folge zwei beginnt auf einem Sklavenschiff auf dem Weg nach Amerika). Wie deren Erlebnisse in Szene gesetzt werden, erinnert ästhetisch stark an die umstrittene Verfilmung der Graphic Novel „300“: Einer der Männer wird sofort nicht von nur einem Pfeil, sondern gleich mehreren Dutzend niedergestreckt. Da es an der fremden Küste außer feindlichen Bewohnern nichts zu finden gibt, wollen die Wikinger gleich wieder ablegen, doch leider herrscht Flaute. Um ihre kriegerischen Götter zu besänftigen, massakrieren sich die Nordmänner gegenseitig, was mit übertriebenen Bildern wie gespaltenen Köpfen und durch die Luft fliegenden Armen visualisiert wird. Was explizite Gewaltdarstellung angeht, war Starz nie zimperlich. Hier wird aber noch eine Schippe draufgelegt.
Nachdem die überlebenden Wikinger endlich den Heimweg antreten konnten, lernen wir in der Gegenwart den gebrochenen Helden der Serie kennen: Shadow Moon (Ricky Whittle) hat nur noch wenige Tage in einem Gefängnis abzusitzen. Dass er dann sogar vorzeitig entlassen wird, ist in diesem Fall keine gute Nachricht, denn Grund dafür ist der plötzliche Tod seiner Ehefrau Laura. Die ist auf ebenso skurrile wie für Shadow schmerzhafte Weise bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Auf dem Weg nach Hause lernt der Trauernde einen merkwürdigen älteren Herrn kennen, der sich auf Nachfrage spontan den Namen Mr. Wednesday – nach dem gerade aktuellen Wochentag – gibt. Ian McShane, bekannt vor allem als dauerfluchender Geschäftsmann aus „Deadwood“, spielt ihn gewohnt mürrisch-verschroben. Dieser Mr. Wednesday will Shadow als Begleiter für seine weiteren Reisen gewinnen. Wobei deren Zweck vorerst im Dunkeln bleibt.
Worum es in „American Gods“ eigentlich geht, ist auch nach zwei Folgen schwer zu sagen, wenn man sich nicht durch Zusammenfassungen des Romans spoilern lassen will. Es dürfte aber nicht zu viel verraten sein, dass die titelgebenden Götter eine wichtige Rolle spielen (werden) und dass es Gaiman um das große Ganze ging, also das weitere Schicksal der Welt. Auf unbedarfte Nichtleser der Vorlage jedenfalls wirkt die Handlung in den Auftaktfolgen noch reichlich wirr und ziellos, mit allerlei Versatzstücken aus Fantasy und Mythologie.
Faszinierend sind hingegen die Figuren. Der Brite Ricky Whittle, zuletzt als Grounder Lincoln in „The 100“ zu sehen, verkörpert den gebrochenen, getriebenen Shadow überzeugend als Mann, der nichts mehr zu verlieren hat außer seinen Verstand, der jedoch als Nächstes dranzukommen scheint. Seiner geliebten Gattin Laura (Emily Browning) begegnen wir zum ersten Mal, als sie schon tot ist. Als Tote wird sie auch Shadow durch die Serie begleiten. Auch in den Nebenrollen ist die Serie hochkarätig besetzt, unter anderem mit Pablo Schreiber („Orange is the New Black“), mit dem sich Shadow im Piloten schon einmal einen spektakulär inszenierten Faustkampf liefert. Überhaupt die Inszenierung: Hier überlässt Ko-Serienschöpfer Fuller – wie schon in seinen früheren Serien – nichts dem Zufall. Jedes Detail ist liebevoll geplant, ob es sich um die Farbgestaltung der Szenen handelt oder die Anzahl der Kerzen, die angezündet werden. Zusammen mit den skurrilen Figuren und dem Off-Erzähler, der am Anfang zum Einsatz kommt, ergibt sich der Eindruck, in ein Märchen einzutauchen – das allerdings als Metapher auf den gegenwärtigen Zustand unserer Welt dient.
Insgesamt übt der Serienauftakt dank der interessanten Charaktere, der guten Schauspieler und vor allem der originellen und sorgfältigen Inszenierung zwar eine gewisse Faszination aus. Gleichzeitig bleibt ein etwas ratloser Eindruck und die Frage, was das alles eigentlich soll. Sofern die Autoren um Fuller und Green hier bald zumindest Teilantworten liefern, werden Freunde abseitigerer und fordernder Unterhaltung Shadow Moon und Mr. Wednesday aber gerne auf ihren weiteren Reisen begleiten.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten ersten beiden Episoden von „American Gods“.
„American Gods“ wird ab dem 1. Mai 2017 mit einer neuen Folge pro Woche bei Amazon Prime in Deutschland veröffentlicht. Die erste Staffel umfasst acht Folgen.
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Amazon Prime/FremantleMedia North America
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing
Kommentare zu dieser Newsmeldung
faxe61 am via tvforen.de
SO:
Erste Folge geschaut: Ich muss dabei aber zugeben das ich mt "Sandman" und den Zeichnungen und Texten von Neil Gaimannicht viel anfangen kann.
Ja, die Eröffnungsminute hat leicht etwas von "300", Film-Gewalt-Stil-Farbe, sonst kann man nur abwarten.
Am Ende am Ende ein wenig von "Uhrwerk Orange". Verwirrend mit viel Gewalt.
Ja, so kommt der erste Teil auch daher; ich kenne den Comic nicht.
Jetzt werde ich mir mal die Kritik durchlesen. Ich mag keine Spoiler.
PS: Die deutsche Synchro ist sehr durchwachsen, vor allen Dingen bei Flüchen und Wochentagen.
PS 2: Den Comic "Preacher" fand ich sehr gut, wobei auch die Zeichnungen unterschiedlich gut sind.faxe61 am via tvforen.de
Ich danke euch für die Antworten.faxe61 am via tvforen.de
Marcus Kirzynowski/wunschliste.de:
>... erinnert ästhetisch stark an die umstrittene Verfilmung der Graphic Novel "300">
Was ist mir da entgangen bei der "umstrittene Verfilmung" bei "300"?
Bitte um Aufklärung. Danke.
Ja, ich habe DVD und Comic. (*grins*)Sveta am via tvforen.de
faxe61 schrieb:
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> Marcus Kirzynowski/wunschliste.de:
> >... erinnert ästhetisch stark an die umstrittene
> Verfilmung der Graphic Novel "300">
>
> Was ist mir da entgangen bei der "umstrittene
> Verfilmung" bei "300"?
> Bitte um Aufklärung. Danke.
> Ja, ich habe DVD und Comic. (*grins*)
Ich nehme an er meint die Gewaltdarstellungen... wobei abgeschlagene Körperteile für amerikanische Kinder nichts sonderlich aufregendes sind. Weitaus gefährlicher sind da gewisse nackte lebende Körperteile.Lobotoyour am via tvforen.de
Das weniger. Es geht mehr um die faschistoiden, rassistischen und homophoben Tendenzen in "300". Die sind in der Tat auch aufzufinden. Ich betrachte den Streifen allerdings eher als Fantasy, mit den historisch belegbaren Tatsachen hat er wenig bis gar nichts zu tun. Ist halt hirnloses Popcorn-Kino. Da spreche ich mich schuldig, mir sowas gerne anzutun.M.D.Krauser am via tvforen.de
Lobotoyour schrieb:
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> Das weniger. Es geht mehr um die faschistoiden,
> rassistischen und homophoben Tendenzen in "300".
> Die sind in der Tat auch aufzufinden. Ich
> betrachte den Streifen allerdings eher als
> Fantasy, ...
ich auch. allerdings, die kernigen sprüche sind schon nicht ohne.
es ist ein unterhalungsfilm, das sollte jeder verstehen. aber ohne die kernigen sprüche wäre der film nur halb so gut...^^
"keinen fußbreit... "
"hier werden wir kämpfen, und sie... "
"schenkt ihnen nichts, aber... "
kennt man schon fast auswendig.
das sage ich ja immer wieder: ein film muss in seinem universum (und sei es auch ein reaktionäreres, abgestumpfteres) funktionieren. und das macht 300 sehr gut.