20 Jahre „Die ultimative Chart Show“: „Die ganz großen Stars sind meistens am unkompliziertesten“

Interview mit Frank Ehrlacher und Judith Langhans zum 20. Geburtstag der RTL-Musikshow

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 29.12.2023, 08:05 Uhr

Frank Ehrlacher RTL/​Stefan Gregorowius

fernsehserien.de: Als „Die ultimative Chart Show“ vor 20 Jahren an den Start ging, war der Musikmarkt noch ein völlig anderer. Streaming spielte überhaupt keine Rolle und es wurden noch Maxi-CDs verkauft. Heute bestimmen vor allem Spotify und Co. die Single-Charts. Viele sind der Auffassung, dass sie dadurch heutzutage weniger relevant und repräsentativ sind. Sehen Sie das auch so?

Frank Ehrlacher: Nein, das kann ich überhaupt nicht unterschreiben. Was sich verändert hat, ist die Musiknutzung und die Erfassung der Musiknutzung. Ziel der Charts ist es ja immer festzustellen: Was war der beliebteste Song in der vergangenen Woche? Früher hat man gesagt: Radiohitparaden sind von Fans beeinflusst. Wer dagegen bereit ist, fünf Euro für eine Maxi-CD auf die Theke zu legen, der muss den Song wirklich mögen. Was damals aber nicht erfasst wurde, ist, wie oft er die CD dann wirklich gehört hat. Heutzutage kann über Streaming hingegen die tatsächliche Musiknutzung erfasst werden. Ein Song wird also nicht mehr nur einmal erfasst, wenn er gekauft wird, sondern bei jedem Abspielen. Es heißt heutzutage oft: Rap dominiert die Charts. Das stimmt nur zum Teil, denn wenn man sich die Chartverläufe anschaut, erkennt man: Jemand wie Capital Bra steigt von 0 auf Platz 1 ein, weil alle Fans am ersten Tag das Ding hören wollen. Es gibt Gerüchte, dass da manchmal auch ein Label nachhilft. Meistens sind solche Songs aber eine Woche später schon wieder auf Platz 30 gefallen und haben deshalb für uns in der „Chart Show“ keine Relevanz. Andere Titel, die sich wochenlang auf Platz 3 oder 4 halten, sind hingegen unterm Strich beliebter. Dass die Charts letztendlich das widerspiegeln, was die Leute tatsächlich hören, sieht man momentan wieder daran, dass die Top 15 voll mit alten Weihnachtssongs sind, weil die Leute im Dezember offenbar nichts lieber als das hören. Natürlich wird das auch durch Playlists befördert, aber früher haben die Leute auch vorgefertigte Bravo Hits durchgehört.

Judith Langhans: Dass die Charts nach wie vor relevant sind, sieht man auch daran, dass es für Künstler immer noch ein Kick ist, ganz oben zu sein. Alle wollen eine Nummer 1 haben. Es gibt heutzutage ja exorbitant mehr Musik, weil Künstler kein Plattenlabel und kein Presswerk mehr brauchen, um Songs zu veröffentlichen. Früher gab es VÖ-Programme mit einem Vorlauf von sechs bis acht Wochen. In den großen Kaufhäusern wurden die Platten entsprechend sortiert. Das war ein komplexes Gefüge.

War schon oft in der „Chart Show“ zu Gast: Sarah Connor RTL/​Stefan Gregorowius

Frank Ehrlacher: Die Charts sind immer ein Spiegel der Zeit, aber eine Nummer 1 ist immer eine Nummer 1. Es lassen sich auch Jugendbewegungen davon ableiten. Warum wird Rapmusik gehört und was drückt die Jugend damit aus, wenn sie Songs hört, die im Radio nur mit Dauerpiepsen gespielt werden könnten? Oder auch die Diskussion und die Skandalisierung von „Layla“: In den vergangenen zwei Jahren haben verstärkt Mallorca-Songs Einzug in die Top 10 gehalten. Ballermann-Hits gibt es schon lange, aber sie waren davor immer eine Nische und nie Teil des Massenmarktes.

Judith Langhans: Lustigerweise hat auch die „Chart Show“ manchmal enormen Impact auf die Charts. In einem Ranking war beispielsweise der Titel „Insomnia“ von Faithless vertreten, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr gespielt wurde. Tatsächlich ist der Song in der Woche nach der Ausstrahlung auf Platz 20 in den Charts aufgetaucht, was ausschließlich auf unsere Sendung zurückzuführen war.

Frank Ehrlacher: Das Paradebeispiel dafür, welchen Einfluss die „Chart Show“ auf das Musikgeschehen haben kann, ist für mich OMD. Ohne unsere Sendung wäre die Band wahrscheinlich nicht wieder zusammengekommen. Sie hat sich 1993 aufgelöst. Da sie mit „Maid of Orleans“ in einem unserer Rankings vertreten war, wurde sie von i&u TV angefragt, ob sie bei uns auftreten möchte. Die Bandmitglieder haben zugesagt und sich backstage so gut verstanden, dass sie seit 2005 wieder im Geschäft sind. Das wäre ohne die „Chart Show“ nicht der Fall gewesen, was auch die Band selbst bestätigt. Da kann das ganze Team schon stolz darauf sein, damit ein bisschen Musikgeschichte geschrieben zu haben. 20 Jahre „Chart Show“ ist auch wirklich eine lange Zeit. Uns gibt es mittlerweile deutlich länger als zum Beispiel „Formel Eins“, das nur knapp sieben Jahre auf Sendung war.

Die Gäste der „Chart Show“ zu den erfolgreichsten Ballermann-Hits aus dem Jahr 2013 direkt von Mallorca RTL/​Max Kohr

Was waren für Sie persönlich die Höhepunkte aus der „Chart Show“-Geschichte?

Judith Langhans: Ein besonderes Highlight war unser zehnjähriges Jubiläum, das wir auf Mallorca gefeiert haben. Das war sehr aufregend, weil es eine Open-Air-Veranstaltung war und wir vorher sogar noch eine Sturmwarnung bekommen haben. Wir haben auch unterschätzt, mit welch großem Aufwand so eine Produktion im Ausland verbunden ist. Es ist aber zum Glück alles gutgegangen und am Ende auch eine visuell wunderschöne Sendung geworden.

Frank Ehrlacher: Mit Murray Head, der mit „One Night in Bangkok“ einen Riesenhit hatte, habe ich einmal quasi meinen Geburtstag gefeiert. Er fand es so toll, in unserer Show stattzufinden, während es in England eine solche Sendung gar nicht geben würde und man ihn dort fast schon vergessen habe. Sehr bewegend war auch ein Auftritt von Vader Abraham alias Pierre Kartner, der den großen Hit „Die kleine Kneipe“ von Peter Alexander geschrieben und ihn zu dessen Ehren bei uns gesungen hat, ganz dezent begleitet vom Klavier. Am Ende seines Auftritts schaute er in die Kamera und sagte: „Für Sie, Peter.“ Das gesamte Team hatte Gänsehaut. Und ich habe mich sehr darüber gefreut, noch Udo Jürgens kennenlernen zu dürfen. Es hat lange gedauert, bis wir ihn tatsächlich mal in der Sendung hatten, aber auch bei ihm kann ich nur sagen: Er war absolut unkompliziert und einer der wenigen Menschen, von denen ich mir ein Autogramm geben lassen wollte. Nach der Sendung haben wir mit ihm sogar an der Theke ein Bier getrunken und uns über ganz normale Dinge unterhalten. Das war der Moment, an dem ich mich mal ganz unauffällig gekniffen habe.

Frank Ehrlacher in der Jubiläumsshow zum 10-Jährigen auf Mallorca RTL/​Max Kohr

Das deckt sich wiederum mit der Erfahrung, dass die größten Stars oft die unkompliziertesten sind.

Frank Ehrlacher: Ja, mit Cliff Richard gibt es eine ähnlich schöne Anekdote. Die Redaktion hatte den Wunsch, dass er doch bitte seinen großen Hit „Rote Lippen soll man küssen“ singen soll. Vom Management wurde das im Vorfeld kategorisch abgelehnt mit der Begründung, dass er als Weltstar keine deutschen Songs mehr singen würde. Während der Probe sagte Oliver Geissen zu ihm: „Eigentlich schade, dass du ‚Rote Lippen‘ nicht mehr singen willst.“ Daraufhin antwortete er: „What do you want me to do? Oh yeah, that song was cool – in German! I might remember the lyrics! Do you want me to do this in the show?“ Er war Feuer und Flamme und wollte den Song in der Show live singen – was er dann auch getan hat.

Judith Langhans

Judith Langhans: Wir hatten wirklich viele tolle Künstler da. Ob The Lovin’ Spoonful, Reg Presley von den Troggs oder auch Gary Moore. Zu den Highlights gehört auch, dass Helene Fischer mal bei uns war und Queen gerockt hat. Sehr bewegend war Holly Johnson, der erst vor ein paar Jahren zu Gast war und der die gleiche Erkrankung hat wie damals Freddie Mercury. Oder auch Gloria Jones, eine unfassbare Ikone, die mir gegenüber saß und auf einmal meinte: „Judith, it’s incredible that you as a woman are doing this show!“ Für mich ist das eben mein Job, aber sie meinte, dass in den USA niemals eine Frau so eine Musiksendung gestalten würde.

Wie sieht die Zukunft der „Chart Show“ aus? Ein Ende ist nach wie vor nicht in Sicht?

Judith Langhans: Planung im Fernsehen ist schwierig [lacht]! Wenn mir jemand vor 20 Jahren gesagt hätte: „Du wirst die nächsten 20 Jahre ‚Chart Show‘ machen“, hätte ich besser planen können. Es heißt immer, bis heute: „Joa, wir schauen mal. Vielleicht ja, vielleicht nein. Wahrscheinlich doch.“ Wir verhandeln für die erste Jahreshälfte 2024, aber wie viel tatsächlich produziert und wann es gesendet wird, steht noch nicht fest. Aber ja: Es geht erst mal weiter und ich empfinde es wirklich als Geschenk, so eine tolle Primetime-Show inzwischen über 20 Jahre lang machen zu dürfen.

Vielen Dank für das interessante und sympathische Gespräch mit vielen spannenden Geschichten und Anekdoten. Alles Gute für die Zukunft!

Am Freitag, den 29. Dezember zeigt RTL um 20:15 Uhr die große Jubiläumsausgabe „20 Jahre Chart Show – Die erfolgreichsten Singles aller Zeiten“. Moderator Oliver Geissen blickt mit zahlreichen Gästen auf zwei Jahrzehnte „Chart Show“-Geschichte zurück und präsentiert die erfolgreichsten Singles in Deutschland aller Zeiten.

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Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Die dümmste Musikshow der Welt !

    ...na ich glaub kaum dass man "Die ultimative Chartshow" im Kongo kennt...:-)

    ...ich hingegen mag einfach den Geissen nicht...hab ich noch nie und werd ich auch nie mögen...
    • am via tvforen.de

      Erinnert mich an einen Kommentar auf Wunschliste oder einer ähnlichen Seite: Wir in Deutschland haben das dümmste und primitivste Fernsehen der ganzen Welt. Das ist noch viel dümmer aus das aus den USA oder England.

      Du weißt, Kommentator, dass viele "Realityformate" aus diesen Ländern kommen?

      Es freut mich aber, dass er oder sie weltweit das Fernsehen kennt, von Spitzbergen bis Neuseeland, von Mexiko bis Japan.
  • am

    Interessantes Interview! Danke für die Erinnerung, dass heute die Jubiläumssendung kommt. Die Chartshow schaue ich immer wieder gerne, ist sehr kurzweilige Unterhaltung.
    • am via tvforen.de

      Die dümmste Musikshow der Welt ! Habe am Anfang die Folge "One Hit Wonder" gesehen und da hat es mir gereicht. Was da alles als 1Hit Wonder bezeichnet wurde, einfach unterirdisch ! Haben nur die Beatles und Stones als solches gefehlt.
      • am via tvforen.de

        Welche fandest du denn unterirdisch und welche hätten dir gefehlt? Wir schalten diese Show meist ein, wenn sie schon läuft und bei den One Hit-Wonder-Songs ist mir z. B. Words von F. R. David in Erinnerung, eines meiner Lieblingslieder. Sonst erinnere ich mich jetzt nicht speziell und müsste eine Wiederholung der Sendung sehen. Ich mag die Sendung grds. gerne. Die Kommentare könnte man sich manchmal sparen, gehören aber eben zu dieser Show dazu.
      • am via tvforen.de

        tiefra schrieb:
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        > Die dümmste Musikshow der Welt ! Habe am Anfang
        > die Folge "One Hit Wonder" gesehen und da hat es
        > mir gereicht. Was da alles als 1Hit Wonder
        > bezeichnet wurde, einfach unterirdisch ! Haben nur
        > die Beatles und Stones als solches gefehlt.

        Ja, gut, ich weiß jetzt nicht, wie sie die Kriterien dafür angelegt haben. Da wird es halt einfach nach Charts-Platzierungen gehen. Und wenn dann eben nur einmal ein Song in den Top10 war von nem Künstler, zählt der eben als One-Hit-Wonder in der Hinsicht, auch wenn er vielleicht jahrzehntelang aktiv und woanders durchaus erfolgreich war.

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