The Walking Dead – Review

von Michael Brandes

Rezension von Michael Brandes – 03.11.2010

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Zwei weitere Überlebende: Morgan Jones (Lennie James) und sein Sohn Duane (Adrian Kali Turner)

Mittlerweile sind die Zombies im breiten Mainstream angekommen: Das vergnügliche Roadmovie „Zombieland“ wurde im vergangenen Jahr zum bislang kommerziell erfolgreichsten Genrefilm. Popkulturell verwurstet wurden die Zombies zuvor in der britischen Parodie „Shaun of the Dead“, in der die These vertreten wird, dass Zombies in der modernen Gesellschaft gar nicht weiter auffallen, weil die Unterschiede zum Menschen immer geringer werden. Der trinkfreudige Shaun verschläft in „Shaun of the Dead“ zunächst die Heimsuchung Londons durch eine Zombie-Epidemie. Die taumelnden Gestalten hält er für betrunkene Bettler. Das Fernsehen berichtet bereits in Sondersendungen auf allen Kanälen, doch Shaun zappt in gewohnter Ignoranz sofort alle Nachrichtenbilder weg, bevor er ihren genauen Inhalt wahrnehmen kann. Die Gesellschafts- und Konsumkritik wird hier konsequent bis zum „Happy End“ durchdacht: Die Kreaturen werden am Ende nicht ausgerottet, sondern vermarktet. Als Haustiere an der Leine und als vorgeführte Protagonisten in TV-Shows.

Viele inhaltliche und inszenatorische Motive jener Zombiefilme der vergangenen Jahre finden sich auch in „The Walking Dead“ wieder. Dem Kino entliehen hat Darabont auch den ruhigen Erzählrhythmus, der auch die anderen AMC-Serien wie „Rubicon“ und „Breaking Bad“ prägt. Lange wandert Rick Grimes durch die leere Großstadt, über weite Strecken bleibt „The Walking Dead“ dabei frei von Dialogen. Wenn die Protagonisten dann mal ausführlich miteinander sprechen, herrscht keine Eile. Kurz bevor Rick bei einer Schießerei getroffen wird und daraufhin ins Koma fällt, sitzt er noch gemeinsam mit seinem Cop-Partner Shane Walsh (Jon Bernthal) im Streifenwagen. Sie unterhalten sich fast vier Minuten lang über ihre Eheprobleme. Eine unspektakulär anmutende Szene, die im weiteren Verlauf an Bedeutung gewinnen wird, die aber in einer der hektisch vorangetriebenen kommerziellen US-Networkserien auch unabhängig von ihrer Relevanz gar nicht mehr möglich wäre. Doch Darabont dagegen verleiht mit seinem cineastischen Standpunkt der Handlung Tiefe und gibt den Figuren Luft zum Atmen und Raum, um sich zu entfalten.

Rick Grimes (Andrew Lincoln) erwacht in einem verlassenen und verwüsteten Krankenhaus

Rick verlässt das gespenstische Krankenhaus. Er setzt sich auf ein Fahrrad und macht sich auf den Weg zu seiner Familie. Das Haus findet er verlassen vor. Seine Frau Lori (Sarah Wayne Callies) und der kleine Sohn Carl (Chandler Riggs) sind verschwunden. Bald darauf macht Rick eine zunächst unerfreuliche Begegnung mit den unbekannten neuen Nachbarn, dem Familienvater Morgan Jones (Lennie James, „Jericho – Der Anschlag“) und seinem etwa 12-jährigen Sohn Duane (Adrian Kali Turner), der ihn von hinten mit einer Schaufel niederschlägt. Rick verliert wieder das Bewusstsein. Später wacht er im Haus der beiden wieder auf, die ihn irrtümlich für einen Walker gehalten hatten. Walker, so nennen sie die feindseligen Gestalten. Gelegentlich bewegen sich die Walker in die Nähe des verriegelten Hauses. Morgan tötet einige von ihnen mit einem Kopfschuss.

Die Bilder aus dem Haus der Familie Jones, in dem sich Rick von seinem Fieber erholt, gehören zu den emotional stärksten Szenen des Pilotfilms. Niemand hat eine Ahnung, was draußen passiert sein könnte. Vor allem der junge Duane wird mit der Situation kaum fertig. Immer wieder kehrt auch die Mutter der Familie, die inzwischen zu den Walkern gehört, in die Nähe des Hauses zurück. Morgan richtet das Zielfernrohr seines Gewehres auf ihren Kopf, doch er bringt es nicht übers Herz, seine Frau zu töten – oder zu erlösen. Viel Trauer und auch eine gewisse Zärtlichkeit liegt bisweilen in den Begegnungen zwischen Menschen und Walkern. Durch den Türspion beobachtet Rick, wie die Mutter vor ihm auf der anderen Seite der Tür steht und versucht, die Klinke zu drücken. Doch die Heimkehr ist unmöglich, die Tür bleibt verschlossen. Später fährt Rick noch einmal zu einer Wiese in der Nähe des Krankenhauses. Hier fand seine erste Begegnung mit einem Walker statt. Noch immer liegt dieser hilflos im Gras, kann sich ohne Beine nicht fortbewegen. „Es tut mir leid, dass dir das passiert ist“, sagt er und erschießt den Walker unter Tränen. Ein Akt der Erlösung. Zu wenig Zeit ist bislang vergangen, um diese Zombies, die vor wenigen Tagen noch Menschen waren, auf eine Rolle als seelenlose Bestien auf der Jagd nach Menschenfleisch reduzieren zu können.

Eine Gruppe Überlebender versucht Kontakt mit Rick Grimes aufzunehmen.

Rick macht sich auf den Weg, um seine Familie zu suchen. An der Polizeiwache holt er seinen Wagen ab und fährt los. Über Funk versucht er, weitere Überlebende zu kontaktieren. Am Rande der Stadt hört eine kleine Gruppe von Menschen seinen Funkspruch, darunter ist Ricks Partner (und vermutlich bester Freund) Shane. Doch die Verbindung ist zu schwach, um eine direkte Verbindung zwischen Rick und der Gruppe herzustellen. Etwas abseits der Anderen kommt es zwischen Shane und einer Frau zu einer kleinen Auseinandersetzung über die Frage, ob die Gruppe weiter außerhalb der Stadt kampieren oder sich auf die gefahrenreiche Suche nach Überlebenden innerhalb der Stadt machen soll. Der Dialog endet mit einem (heimlichen) Kuss. Als der Sohn der Frau in die Nähe kommt, trennen sich beide schnell wieder. Es wird offensichtlich, dass es sich um Ricks Frau Lori und seinen Sohn Carl handelt, was der nächste Schnitt dann auch bestätigt: Eingangs der folgenden Szene hält Rick ein Foto in der Hand, das ihn gemeinsam mit seiner Familie zeigt.

„The Walking Dead“ steuert somit auf eine spannende zwischenmenschliche Konfrontation zu. Die Zombies bleiben also nicht die einzige Herausforderung für Rick, der unterdessen erfolglos nach Benzin sucht. Das gibt Frank Darabont die Gelegenheit, sein apokalyptisches Szenario mit einem schönen Western-Motiv auszustatten: Auf einem Pferd reitet Rick, der inzwischen seine Polizeiuniform trägt, auf die gigantischen Wolkenkratzer von Atlanta zu. Er sucht seine Familie, aber in ihm steckt fraglos auch der Willen, oder besser das Pflichtbewusstsein, seine aus den Fugen geratene Welt wieder zu ordnen. Erinnerungen an klassische Western wie „High Noon“ werden geweckt, aber auch an Kevin Costners umstrittene „Postman“-Utopie, in der Costners Titelheld als uniformierter Postbote durch die Verbreitung von falschen, aber erbaulichen Nachrichten die Wiederherstellung der Zivilisation ermöglicht.

Rick Grimes reitet in die Stadt.

Doch diesen missionarischen Eindruck wirft Darabont schnell und sarkastisch wieder über Bord, denn Rick vergaloppiert sich gehörig und wird, im Innern der Stadt angekommen, an einer Kreuzung von etlichen Walkern umzingelt. Während sein vierbeiniger Gefährte lebendig verspeist wird, kriecht Rick im letzten Moment unter einen Panzer und findet einen Eingang in das klaustrophobische Innere. Hier ist der 70-minütige Pilotfilm an seinem Ende angekommen. In der Vogelperspektive wird noch einmal Ricks aussichtslose Lage verdeutlicht, während der bis dahin orchestrale Soundtrack erstmals durch einen Popsong aufgelockert wird. Es ist der Beginn eines Roadmovies, das gerade begonnen hat, sich langsam in Bewegung zu setzen.

Es sieht ausgesprochen gut und vielversprechend aus, was Darabont in dieser ersten Episode anbietet – auch wenn viele Charaktere bislang nur ganz kurz zu sehen waren und die ersten großen Massenszenen noch bevorstehen. Die Ausgangslage wurde beeindruckend präzise und konzentriert dargestellt. Nun werden Rick und die Gruppe um Shane und Lori in den kommenden Episoden zusammenfinden. Neben den persönlichen Beziehungen der Charaktere wird es dabei sicher auch um die Frage gehen, wie das Leben in dieser veränderten Welt, an der Seite einer neuen menschlichen Rasse, überhaupt aussehen kann. Darabont kombiniert dieses anspruchsvoll inszenierte, episch angelegte Endzeit-Drama mit klassischen Horror-Elementen: „The Walking Dead“ ist natürlich nicht frei von Splatterszenen, von Blutspritzern in Zeitlupe. Doch das blutige Gemetzel dient hier nicht allein dem Effekt und wird auch nicht in ermüdender Redundanz zelebriert. Im Mittelpunkt stehen die ambivalenten Charaktere und ihr Mitleid mit den Wesen, aber auch mit sich selbst. Der Verlust von nahestehenden Personen, aber auch von jenen geordneten Verhältnissen, in denen man sich eingerichtet hatte. Abgesehen vom HBO-Drama „Boardwalk Empire“ hat im Sommer und Herbst dieses Jahres keine andere US-Serie einen so starken ersten Eindruck hinterlassen.

Meine Wertung: 4,5/​5

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