Alles Gute, Jürgen von der Lippe! – Eine Hawaiihemd-bunte Karriere im Rückblick

Der Entertainer der lauten und leisen Töne wird 70

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 08.06.2018, 09:45 Uhr

Geld oder Liebe
WDR

Den endgültigen Durchbruch schaffte Jürgen von der Lippe ab 1989 mit der Sendung „Geld oder Liebe“, die bis 2001 auf Sendung blieb und insgesamt 90 Mal im Ersten ausgestrahlt wurde. Das simple und gleichermaßen geniale Konzept: Drei weibliche und drei männliche Singles lernen sich in der Show kennen. Anhand von mehreren Spielrunden, in denen mehrfach die Pärchen neu zusammengestellt werden, soll sich im Laufe des Abends zeigen, welche Dame zu welchem Herrn am besten passt.

In klassischen Partyspielen konnten die Kandidaten Geld für ihr Konto erspielen. Die Spiele waren in jeder Ausgabe neu und wurden von Klaus de Rottwinkel erdacht, der auch die Spiele für Hugo Egon Balders „Alles Nichts Oder?!“ entwickelte. Lediglich das Kiosk-Spiel war eine feste Einrichtung: Ein Kandidatenpaar stand in einem Kiosk, an dessen Front über ihnen Begriffe erschienen, die nur das Studiopublikum sehen konnte. Die Zuschauer mussten diese Begriffe durch Gesten und Geräusche darstellen, die Kandidaten versuchten sie zu erraten. Von der Lippe bediente die mechanische Begriffsanzeige mit einem großen Hebel – doch in jeder zweiten Sendung blieb die Anzeige oben hängen, so dass per Hand nachgeholfen werden musste.

Einsfestival/​Screenshot

Zwischen den Spielrunden wurden die Kandidaten näher vorgestellt. Jeder brachte ein außergewöhnliches Talent mit, das von den übrigen Teilnehmern aus drei Möglichkeiten richtig getippt werden musste. Hier war Jürgen von der Lippe in seinem Element: Er erzählte frei, beeindruckte mit Fremdworten und schloss nach teilweise abschweifenden Exkursen mit den Worten: „Aber das wissen Sie natürlich alles.“ Nach der jeweiligen Raterunde folgte ein Einspielfilm oder eine Vorführung des Hobbys durch den jeweiligen Kandidaten.

Die heute bekannte bayerische Kabarettistin Lizzy Aumeier war in den 1990er Jahren Kandidatin bei „Geld oder Liebe“.Einsfestival/​Screenshot

Am Ende der Sendung konnten die Zuschauer per Telefon ihr Traumpaar wählen. Für die Kandidaten im Studio hieß es dementsprechend: Geld oder Liebe? Die Kandidaten mussten sich für „Geld“ oder „Liebe“ entscheiden und ein entsprechendes Schild hochhalten. Entschieden sie sich für „Geld“, bekamen sie den doppelten erspielten Betrag. Entschieden sie sich für „Liebe“, bekamen sie ihr erspieltes Geld zwar nicht, hatten jedoch die Chance auf eine höhere Summe, wenn sie von den Fernsehzuschauern per TED zum Traumpaar des Abends gewählt wurden.

Die gemütliche Kennenlernrunde bei „Geld oder Liebe“Einsfestival/​Screenshot

Im Verlauf der Jahre entwickelten sich mehrere Running Gags bzw. Rubriken. So berührte Jürgen von der Lippe zu Beginn der Show die Köpfe mehrerer Leute im Publikum. Er nannte dies „Handauflegen“. Danach las er mehrere Witze vor, die von Kindern eingeschickt wurden. Als Preis erhielten sie eine Flasche Schokolinsen, später kamen zwei Plüschtiere dazu. Zudem gab es einen Fotowettbewerb: Zuschauer sandten zu vorgegebenen Oberthemen Bilder ein, zu denen von der Lippe witzige Untertitel vergab. Einmal pro Show wurde der Untertitel „Paule, sach doch watt“ vergeben. Zu den Maskottchen der Show wurden der Geld-Otter und der Otter Liebe („Geld Otter Liebe“). Charakteristisch für die Sendung waren auch von der Lippes nicht enden wollenden Anmoderationen für die auftretenden Musikkünstler. Er ratterte deren komplette Biografie herunter und lobte deren Musik stets in den allerhöchsten Tönen. Zahlreiche damals noch unbekannte Künstler absolvierten in der Show ihren ersten Auftritt in einer großen deutschen TV-Show, darunter Joshua Kadison („Jessie“), Natalie Imbruglia („Torn“), Jonny Lang („Lie To Me“), Dakota Moon („Another Day Goes By“) und Eagle-Eye Cherry („Save Tonight“). Mit dem Spruch „Hase, wie lang ham’ wa noch?“ wandte sich Jürgen von der Lippe regelmäßig an seine Aufnahmeleiterin um sich zu erkundigen, ob er schon überzogen hatte.

Einsfestival/​Screenshot

Mit „Geld oder Liebe“ gelang Jürgen von der Lippe, der die Show gemeinsam mit Wendelin Haverkamp konzipiert hatte, der perfekte Spagat zwischen familienfreundlicher Abendunterhaltung und temporeichen Spielen. Das Geheimnis der Show war ihre Warmherzigkeit. Es war zweitrangig, welches Paar am Ende als Sieger hervorging, vielmehr ging es darum, einen gemütlichen Abend mit sympathischen Menschen zu verbringen. Diese wohlige Wohnzimmeratmosphäre übertrug sich auch auf die Zuschauer vor den Fernsehgeräten.

„Geld oder Liebe“ wurde stets live ausgestrahlt und lief zu Beginn noch donnerstags um 21:03 Uhr als 87-Minuten-Show. 1993 wanderte sie auf den begehrten Samstagabend-Sendeplatz um 20:15 Uhr und wurde auf zwei Stunden verlängert. 1994 erhielt Jürgen von der Lippe für die Show den „Grimme-Preis“. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums hat der WDR im Jahr 2014 eine zweistündige Sonderausgabe gezeigt, in der von der Lippe mit prominenten Kandidaten wie Carolin Kebekus und Bernhard Hoëcker den Showklassiker noch einmal aufleben ließ. Drei weitere, verzichtbare Ausgaben mit wechselnden Moderatoren wurden im Anschluss gezeigt, danach wanderte die Show zurück auf den TV-Friedhof.

Wat is?
Jürgen von der Lippe erhält von Kameramann Günni Informationen über seinen GastEinsfestival/​Screenshot

Parallel zu „Geld oder Liebe“ präsentierte Jürgen von der Lippe mit „Wat is?“ ein Format, das in seinen Grundzügen an „So isses“ erinnerte. Der Moderator wusste vor Beginn der Show nicht, wen er als Gast begrüßen wird. Erst während der laufenden Sendung, als der Besuch bereits vor der Tür stand, steckte ihm Kameramann Günni (Günter Müller) ein Kärtchen zu, auf dem der Name des Gastes und sein Beruf oder Hobby standen. Von der Lippe musste dann aus dem Stand ein möglichst unterhaltsames Gespräch mit dem ihm bis dato unbekannten Gast führen – was ihm zumeist gelang. 1995 begann die Sendung als halbstündige Reihe im WDR, ein Jahr später wurde sie vom Ersten übernommen und am späten Freitagabend gezeigt. Ein weiteres Jahr später wurde die Laufzeit auf 45 Minuten erhöht. Insgesamt 188 Folgen liefen von 1995 bis 2000. 2005 wurde die Sendung kurzzeitig für fünf Folgen unter dem Titel „Wat is? – Jetzt neu!“ im WDR wiederbelebt. Seitdem fehlt ein vergleichbares, ruhiges Unterhaltungsformat im deutschen Fernsehen ganz erheblich.

Exklusive Video-Collage mit Clips aus Jürgen von der Lippes frühen WDR-Sendungen „WWF Club“, „So isses“, „Donnerlippchen“, „Geld oder Liebe“ und „Wat is?“:

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