Das deutsche Fernsehjahr 2020 im Rückblick (Teil 1): Quarantäne-TV, Masken-Shows und Wendler-Wahnsinn

Trash-TV-Tiefpunkte mit „Promis unter Palmen“ und „Sommerhaus der Stars“

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2020, 09:00 Uhr

„Promis unter Palmen“, „Sommerhaus der Stars“ und Co.: Asi-TV erreicht neue Tiefpunkte

„Promis unter Palmen“ – und meterweise unter der Gürtellinie Sat.1

2020 erreichte die inflationäre Verbreitung sogenannter Trash-TV-Formate ihren Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt. Fast das gesamte TV-Jahr wurde mit Sendungen zugekleistert, in denen C- bis Z-Promis gemeinsam unter einem Dach oder auf einer Insel leben. Bei all diesen Sendungen wird nur an kleinen Stellschrauben gedreht, ansonsten ist es stets alter Wein in neuen Schläuchen: Ein gutes Dutzend angeblich Prominenter lebt gemeinsam unter Beobachtung von Kameras auf überschaubarem Wohnraum – und soll sich zur Belustigung der Zuschauer möglichst danebenbenehmen.

Gab es früher den unausgesprochenen Deal, dass die Teilnehmer des Dschungelcamps oder von „Promi Big Brother“ anschließend wieder in der Versenkung verschwinden, werden sie inzwischen durch sämtliche Formate durchgeschleust. Dabei soll es möglichst viel Stress, Konflikte und „Konfro, Konfro, Konfro“ geben, damit die Twitter-Welt jubelt und die Zuschauer ihre niedersten Instinkte befriedigen können. Schadenfreude und Häme spielen die zentrale Rolle. Doch in diesem Jahr wurden von Sat.1 und RTL Geschmacksgrenzen derart überschritten, dass selbst hartgesottene Trash-Fans den Spaß daran verloren haben.

Mobbing als Erfolgskonzept – alles nur „Unterhaltung“

Sat.1/​Richard Hübner

Als wäre der Lockdown nicht schon schlimm genug gewesen, schickte Sat.1 im Frühjahr „Promis unter Palmen“ an den Start – und zu Beginn sah es vielversprechend aus. Der von chronisch schwachen Einschaltquoten geplagte Bällchensender hatte nach einer Ewigkeit wieder einen echten Hit im Programm. Twitter-Deutschland feierte die Sendung als Trash-Höhepunkt des Jahres, die Kritiken fielen positiv aus – doch mit Folge 5 wendete sich das Blatt und Sat.1 erlebte seinen Shitstorm des Jahres. Kandidatin Claudia Obert wurde von den übrigen Teilnehmern mit übelsten Beleidigungen derart gemobbt, dass bei ihr die Tränen flossen – bis sie schließlich aufgab und die Flucht ergriff. Die Szenen sorgten für große Empörung. Zahlreiche Zuschauer waren schockiert von der Sendung und der Tatsache, dass die Produktionsfirma EndemolShine nicht einschritt, bevor die Situation derart eskalierte. Sat.1 hat diese Art von Mobbing hingegen ungefiltert gezeigt und unterstützt, da innerhalb der Sendung keinerlei Einordnung stattfand.

Der Sender hat die Situation und die Reaktionen völlig falsch eingeschätzt. Sat.1 hätte im Vorfeld überlegen können, wie man mit dem Vorfall umgehen sollte und Einordnung, Hilfe, Distanzierung anbieten können. All das geschah nicht. Das Format wurde im November 2019 abgedreht und lag fünf Monate in der Schublade. Genügend Zeit bestand also, um sich derlei Gedanken zu machen – doch die Verantwortlichen von Sat.1 wollten es genau so senden und haben sich beim Sichten des explosiven Materials vermutlich diebisch die Hände gerieben und feixend auf den Moment der Ausstrahlung dieses Meisterwerks hingefiebert. Entsprechend fadenscheinig fiel dann auch das Statement des Senders am nächsten Tag aus:

Bei der Reality-Show ‚Promis unter Palmen‘ handelt es sich – wie der Name schon sagt – um eine Show mit Reality-erfahrenen Promis, die ihre Sendezeit daher meist sehr gezielt zu nutzen wissen und sich sehr bewusst sind, dass die Kamera permanent läuft. Wir schreiben den Promis nicht vor, wie sie sich als erwachsene Menschen zu verhalten haben. Wichtig ist: Kein Teilnehmer ist zu Schaden gekommen, die Sicherheit am Set war stets gewährleistet.

Mobbingopfer Claudia Obert Sat.1

Der Zusatz, dass es sich um „Reality-erfahrene Promis“ handle, die ihre Sendezeit daher meist sehr gezielt zu nutzen wissen, führt den ursprünglichen Gedanken von Reality-TV ad absurdum. Natürlich wurde Désirée Nick engagiert, um als „keifende Diva“ aufzutreten, Ronald Schill als „alternder Lustmolch“, Claudia Obert als „dauerbeschwipste Unternehmerin“ und Bastian Yotta als „sexistischer Moralapostel ohne Moral“. Mit Reality hat all das so viel gemein wie Sat.1 mit einem guten Monatsmarktanteil.

Zu allem Überfluss ging dann auch noch Mobbinganführer Bastian Yotta als Sieger des Formats hervor. Dummerweise tauchten während der Sendung Videos von Yotta im Internet, auf, in dem der selbsternannte Fitness- und Lifestyle-Coach gewaltverherrlichende und sexistische Äußerungen über Frauen tätigt. Sat.1 distanzierte sich daraufhin von den Aussagen und schloss Bastian Yotta von weiteren Produktionen aus – vorher wurde er allerdings für sein Verhalten noch mit 100.000 Euro als Siegprämie für „Promis unter Palmen“ belohnt – trotz eines geballten Negativechos der Zuschauer. Es zeigt sich, wie ungünstig es ist, so eine Sendung mehrere Monate im Voraus zu produzieren. Sat.1 hielt es offenbar nicht für nötig, ihm den Sieg abzuerkennen – wie einfach das möglich gewesen wäre, zeigte ProSieben, als der Sender bei „Beauty & the Nerd“ einem Fake-Kandidaten aufsaß, ihm den Sieg im Nachhinein absprach und das Geld stattdessen spendete.

Bastian Yotta greift Claudia Obert verbal an Sat.1

Das offenbart die Bigotterie des Senders. Sat.1 hat für „Promis unter Palmen“ ganz gezielt kontroverse und problematische Kandidaten engagiert, die nicht mit krawalligem und prolligem Verhalten sparten. Vor lauter Quotengeilheit entzog sich Sat.1 als scheinbar Unbeteiligter jeglicher Verantwortung und freute sich lieber über die mehr als drei Millionen Zuschauer, die das „Promis unter Palmen“-Finale einschalteten – und das ist wie üblich das Einzige, das TV-Sender wirklich interessiert. Berechtigte Kritik wird ausgesessen oder hämisch kommentiert. Daher hat es auch einen faden Beigeschmack, wenn Sat.1 scheinbar plötzlich die Moral wiederfindet und sich öffentlich von einem Mitwirkenden distanziert, den man unbedingt für das Format haben wollte. Anstatt ein Zeichen zu setzen und Mobbingtätern wie Carina Spack und Matthias Mangiapane ebenfalls keine Plattform mehr zu geben, wurden diese zur Belohnung direkt für das „Promiboxen“ und weitere Trash-Shows verpflichtet. Schließlich sei alles nur Unterhaltung und die beteiligten Promis seien für ihr Handeln selbst verantwortlich. Und so gab der Sender dann auch grünes Licht für eine zweite Staffel seines einzigen Quotenhits.

Spuckattacke, Alkohol und Mobbing im „Sommerhaus der Stars“

TVNOW/​Stefan Gregorowius

Nun hätte man denken können, dass RTL aus diesem Sat.1-Debakel lernen würde – und mit seinem artverwandten Format „Das Sommerhaus der Stars“ ein positives Zeichen setzen würde. Welch naiver Gedanke! Corona-bedingt konnte die sogar mit dem „Deutschen Fernsehpreis“ ausgezeichnete Sendung diesmal nicht im fernen Portugal produziert werden, sondern wurde im nordrhein-westfälischen Bocholt auf einem Bauernhof gedreht. Die Dreharbeiten dauerten insgesamt 27 Tage und damit zehn Tage länger als im Vorjahr – RTL dehnte die Staffel auf elf Folgen aus, die entgegen des Sendungstitels erst im Herbst zwischen September und November ausgestrahlt wurden.

Bereits im Vorfeld wurde bekannt, dass Kandidatin Georgina Fleur nach nur drei Tagen das Haus mit ihrem Partner Kubilay Özdemir verlassen hat. Trotz seines Alkoholproblems trank Kubilay vor laufenden Kameras Alkohol. Es kam zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, bei dem der stark alkoholisierte Kubilay ins Gesicht von Mitbewohner Andrej Mangold spuckte. Dies führte dazu, dass Kubilay und Georgina von Security-Personal aus dem Haus komplimentiert wurden. Somit geriet auch das „Sommerhaus“ direkt mit Folge 1 ins Kreuzfeuer der Medien – und RTL bekam die gewünschte Aufmerksamkeit.

TVNOW

Als Ersatz zog die aus „Der Bachelor“, „Promi Big Brother“ und „Promis unter Palmen“ bekannte Eva Benetatou mit ihrem Verlobten Chris ein. Daraufhin wiederholte sich das Szenario, das bereits „Promis unter Palmen“ zerstörte. Extreme Beleidigungen, asoziales Verhalten, gemeinschaftliches Mobbing und komplettes Fehlen von Empathie der Kandidaten überspannten den Bogen des Erträglichen. Und als wäre das noch nicht genug, wurden die Bewohner auch noch von der Produktion regelrecht in ihrem Verhalten angestachelt, wie sie im Nachhinein berichteten. Annemarie Eilfeld wurde auffallend oft singend gezeigt – so als ob sie den ganzen Tag nichts anderes machen will. In Wirklichkeit wurde sie von den Produktionsverantwortlichen darum „gebeten“, doch bitte noch mehr zu singen, obwohl sie damit ihren Mitwohnern auf den Geist ging. Und auch die Voodoo-Puppe, die Lisha und Lou aus Rachegelüsten für ihre ungeliebte Mitbewohnerin Caro Robens bastelten, sei auf dem Mist der Produktion gewachsen. So viel zum Thema „Reality“.

Die Zuschauer zeigten dem „Sommerhaus“, das zeitweise sogar sonntags ins direkte Duell mit dem „Tatort“ zog, allerdings die rote Karte. Selbst RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm zog in einem Interview mit Übermedien eine überraschend selbstkritische Bilanz: Wir haben das Mobbing weder gepusht noch gewollt. Die Eskalation der Aggressivität und das unangenehme negative Gefühl, das in dieser Staffel steckt, hat uns persönlich auch betroffen gemacht, so Sturm. Die anhaltende Aggressivität in der Show sei sehr lähmend gewesen, die ständigen Konflikte bezeichnete er als Quotengift für den Sonntagabend. Der Marktanteil des Finales betrug in der jungen Zielgruppe nur 13,8 Prozent – im Vorjahr waren noch 19,2 Prozent drin. Im Vergleich zu Sat.1 hat RTL zumindest eine Mitschuld an den Eskalationen eingestanden. Man darf gespannt sein, ob die Aussagen von Kai Sturm tatsächlich für ein Umdenken im nächsten Jahr sorgen werden.

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