„Deutsch-Les-Landes“: Klischeeparade an der Atlantikküste – Review
Christoph Maria Herbst sticht aus Culture-Clash-Comedy heraus
Rezension von Gian-Philip Andreas – 31.10.2018, 17:30 Uhr
Die Europäische Union muss sich immer größeren Anfechtungen erwehren: Osteuropäische Länder treten ihre Werte mit Füßen, Großbritannien steht vor dem „Brexit“, und hierzulande fahren ganz linke und ganz rechte Kräfte routinemäßig Attacken gegen das Staatenbündnis. Kein Wunder, dass manch Pragmatiker schon den Ausweg in einer „Kernunion“ sieht – bestehend aus Deutschland und Frankreich. Um sich darauf vorzubereiten, kann man sich eine neue, ebenso länderübergreifende wie völkerverbindende Comedyserie anschauen: „Deutsch-Les-Landes“ wurde von französischen und deutschen Autoren gemeinschaftlich ersonnen, auch Cast und Regie rekrutieren sich aus beiden Ländern. Einen Unterschied macht nur der Vertriebskanal: In Frankeich streamt man die Serie beim dortigen Amazon Prime Video, in Deutschland ziert sie den neu herausgeputzten Dienst „Magenta TV“ der Deutschen Telekom.
„Deutsch-Les-Landes“ erzählt in bekannter Manier von einem Culture Clash: Eine ganze Abteilung eines in seinem Tätigkeitsbereich nicht näher definierten Münchner Unternehmens, unter Führung des stellvertretenden Geschäftsführers Manfred (Christoph Maria Herbst, „Stromberg“) wird in ein pittoresk verwittertes Kaff des französischen Départements Landes (an der südwestlichen Atlantikküste gelegen, gedreht wurde rund um Bordeaux) verlagert und gerät dort, nach neokolonialistischer Anreise in einem Konvoi schwarzer Mercedes-Limousinen, auf erwartbar stereotype Weise mit der gallischen Lebensweise in Konflikt. Mit Kulturgekrach dieser Art kennen sich die beiden Hauptautoren Alexandre Charlot und Franck Magnier aus: Sie schrieben einst den grenzüberschreitenden Hit „Willkommen bei den Sch’tis“, in der ein Großstädter aus Paris unter lispelnde nordfranzösische Provinzler geriet. Hier bilden sie mit dem Deutschen Thomas Rogel („heute-show“, „Die Wiwaldi-Show“) ein Team.
Was also nicht ausbleibt in diesen zehn 25-minütigen Episoden, ist die Dauerbebilderung aller Deutschen- und Franzosenklischees, die einem beim Brainstorming so einfallen können. Die Deutschen interessieren sich für Arbeit, Fußball und Ordnung, die Franzosen für Rotwein und Käse, die Germanen können Autos bauen, sind aber so leidenschaftslos, dass sie beim Streiten nicht mal mit der Tür knallen, während in Gallien alle Straßen voller Schlaglöcher sind und alte Männer den ganzen Tag bei Croissant und Marmelade im Vorgarten sitzen. Vermeintliches Konversationstabu sind die von Deutschland verlorenen Weltkriege, während die Franzosen das Halbfinale bei der WM 1982 in böser Erinnerung haben, damals, als Toni Schumacher Patrick Battiston zwei Zähne ausschlug und dafür nicht einmal eine Gelbe Karte bekam. Die Witzqualität reicht von durchaus ziemlich hoch bis austernflach.
Sowohl „Vice Manager“ Manfred, alleinerziehender Vater des dauerrenitenten Teenagers Dominik (Niklas Post), als auch sein ganzes Team um Chef-Controller Karsten (Sebastian Schwarz, „Frau Temme sucht das Glück“) und dessen Frau Marion (Jasmin Schwiers, „Ritas Welt“) muss mit Sack und Pack, Kind und Kegel den Wohnort München gegen Jiscalosse eintauschen – dass sie das alle tun, ist eine Prämisse, die man auch im Comedy-Kontext erst mal glauben muss. Eingebrockt hat ihnen das Schlamassel die junge französische Referentin Chloé (Roxane Duran aus „Riviera“), die Jäger von ihrem surferparadiesischen Heimatdorf vorgeschwärmt hatte. Auch die Einwohner von Jiscalosse sind trotz des zu erwartenden Steuersegens nicht begeistert – 200 ordnungsobsessive Teutonen mögen als Touristen gern gesehen sein, das ganze Jahr über könnten sie sich schnell als Plage erweisen. Man fürchtet die Germanisierung ihrer Region zum titelgebenden Deutsch-Les-Landes, und Austernfischer Jean-Michel (Éric Métayer), Martines Stellvertreter, ist zurecht entsetzt, als Jäger allen Ernstes Rotwein zum Muschelteller verlangt – mon dieu! Nur die allein lebende Deutschlehrerin Odile (Sylvie Testud, „La vie en rose“) ist begeistert. Bis sie erfährt, dass die Neuankömmlinge fast noch weniger Ahnung von Schiller haben als ihre französischen Schüler.
Langweilig allerdings sind die Episoden keineswegs. Es gibt unter der Regie des bislang für gehobenes Arthouse-Kino bekannten Denis Dercourt („Das Mädchen, das die Seiten umblättert“) keine Hänger, auch die Brüche zwischen den satirischen und den familiär-dramatischen Momenten funktionieren gut. Das Ensemble präsentiert sich launig, und gerade Christoph Maria Herbst erweist sich aufs Neue als Meister der Zwischentöne, der sich nie auf seine Gags „draufsetzen“ muss, sondern sie gekonnt (und umso wirkungsvoller) beiseitespricht. Natürlich kann er als Manager seinen „Stromberg“ nie ganz vergessen machen, doch seine Funktion als Single Dad und die durchaus tragische Familiengeschichte, die die Autoren erst sukzessive enthüllen, geben ihm immer wieder Gelegenheit, auch sanftere, tiefgründigere Seiten der Figur durchscheinen zu lassen. Demgegenüber stehen ein paar penetrante Slapstickszenen und überdrehte Dialoge, die irgendwie den kleinsten gemeinsamem Nenner der deutsch-französischen Klamottenkultur zu bedienen versuchen. Dieses schlecht verdaute Louis-de-Funès-Gewitzel ist aber nicht repräsentativ für die insgesamt recht breit gefächerte Palette an Comedy-Tonlagen, die die Macher aufrufen. Leider verlassen sie dabei nie die Limitierungen des Humor-Mainstreams – auch wenn man das beim Prestigeprojekt einer ambitionierten, sich neu aufstellenden Plattform vielleicht erhofft hätte.
Größter und kaum verzeihlicher Fehler dieser ansonsten locker-flockig vor sich hinblödelnden Serie ist aber die für beide Ausstrahlungsländer gefällte Entscheidung, die Schauspieler der jeweils anderen Sprache zu synchronisieren. Aus Produzentensicht mag dies verwertungstechnisch zu verstehen sein, aus künstlerischer Sicht ist es ein Totalausfall, der der Serie und der ganzen dahinterstehenden Idee einen entscheidenden Teil ihres Charmes raubt. Zum Spiel mit den Klischees der jeweils anderen Kultur, zu den gegenseitigen Missverständnissen, mit denen hier an jeder dramaturgischen Ecke gearbeitet wird, gehört zwingend auch die sprachliche Ebene. Wenn nun Figuren in derselben Sprache aneinander vorbeireden, wenn ausgedehnte Szenen davon handeln, dass die Bürgermeisterin bei der Deutschlehrerin Unterricht nimmt und beide mit Aussprache, Betonungen und Vokabular ringen, aber jeweils in derselben Sprache, dann ist das nur noch absurd. Eine Serie, die doch vom Überwindungspotenzial der Gräben zwischen den Kulturen zweier Nachbarländer erzählen will, sich dabei aber nicht einmal das Grundlegendste zutraut, nämlich die Zweisprachigkeit, verkauft den größten Teil des eigenen Publikums für dumm.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Deutsch-Les-Landes“.
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Bavaria Fiction
MagentaTV der deutschen Telekom veröffentlicht die erste Staffel von „Deutsch-Les-Landes“ am 1. November 2018.
Über den Autor
Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) - gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).
Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation