Geheimsache Ghettofilm – Das Warschauer Ghetto und die Propaganda der Nazis
- D / IL 2010 (Shtikat Haarchion, 90 Min.)
- Dokumentation
62 Minuten Archivmaterial, unbetitelt, unvertont, nur teilweise geschnitten; eine außergewöhnliche historische Quelle. Alles, was an Filmbildern aus dem Warschauer Ghetto überliefert ist. Bei näherem Betrachten sind es verstörende Bilder: Das nackte Elend verhungernder Bettler neben auffallend wohlgekleideten Männern und Frauen im Restaurant oder beim Tangotanzen. Bittere Armut neben vermeintlichem Wohlstand, das eine das jeweils andere scheinbar ignorierend. Jahrzehntelang wurden diese Ghettobilder – bzw. wenige immer gleiche Ausschnitte daraus – von Dokumentaristen und Museen in der ganzen Welt als authentisches Archivmaterial verstanden und verwendet.
Erstmals wird nun das Material im Ganzen betrachtet. Bild für Bild, Einstellung für Einstellung, unter besonderer Beachtung der herausgeschnittenen Szenen. Erstmals fragt Regisseurin Yael Heronski auch nach den Auftraggebern dieser Filmaufnahmen. Wer hat diese Bilder gedreht? Unter welchen Umständen? Und mit welcher Aussageabsicht? Spiegeln die Bilder das wirkliche Leben? Anhand von eindrucksvollen Schilderungen Überlebender, detailreichen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ghetto sowie eines protokollierten Interviews mit einem der Kameramänner Mitte der 1970er-Jahre entsteht in diesem herausragenden Dokumentarfilm plötzlich ein ganz anderes Bild von der Authentizität des Ghettofilms.
Es stellt sich heraus, dass deutsche Propagandafilmer nur wenige Wochen vor der großen Deportation im Frühjahr 1942 gezielt ins Ghetto geschickt wurden, um Szene für Szene „jüdischen Lebens“ für die Nachwelt zu inszenieren. Regieanweisungen für Todgeweihte. Und plötzlich sehen wir die Bilder mit anderen Augen. Lernen, genau hinzuschauen.
Erkennen auf mehreren Einstellungen die Kameraleute bei der Arbeit, hören wie die Protagonisten des Films perfide gezwungen wurden, so und nicht anders zu agieren. Und beginnen, unsere eigenen Vorstellungen und unseren Umgang mit Archivmaterial zu hinterfragen, ohne dabei das reale Schicksal der Ghettobewohner zu vergessen. Das Schicksal der Kinder und Alten, der Frauen und Männer, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Als das Material 1942 schließlich im Schneideraum seiner Auftraggeber landete, waren all diese Menschen auf dem Streifen Zelluloid tot. (Text: MDR)
Originalsprache: Englisch
- gezeigt bei MDR Dok
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