Schlusschor – Schauspiel von Botho Strauss

Das Stück fasst drei Situationen während der Zeit der Maueröffnung zu Momentaufnahmen zusammen, in denen sich Bilder in Zerrbilder wandeln. In der dritten Szene verklärt Anita, ein alterndes Mädchen, ihren Vater, der im Widerstand gegen Hitler umgekommen sei. Von einem Historiker wird Anita, die die Tagebücher ihres Vaters durch Manipulation beschönigt hat, mit der Wahrheit konfrontiert. Draußen vollzieht sich der historische Augenblick der Maueröffnung. In der Schlussszene dringt Anita nachts im Zoo in den Käfig des Steinadlers ein. Bewusst nimmt Botho Strauß den Drang nach nationaler Vereinigung hier wörtlich und führt ihn ad absurdum: Dem nationalen Wappentier ist in der Gefangenschaft die Lust an der Eroberung vergangen. Anita, die sich als Opfer hingeben wollte, wird in ihrer Enttäuschung zur Täterin und zerfleischt den Vogel.

Botho Strauß zeigt reflexartig die Rituale der Annäherung und Verweigerung, wie Menschen sich suchen und verfehlen. Der Titel Schlusschor verweist nicht nur auf ein Endspiel, sondern auch auf den Freudenhymnus aus Beethovens 9. Sinfonie, der in den Tagen der Maueröffnung zum Klangteppich gemacht wurde für den nationalen Freudentaumel. (Text: ZDFtheaterkanal)

Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin 1993