„Ein neuer Sommer“: Lasche Krimisoap mit starker Nicole Kidman – Review

Netflix-Miniserie demaskiert vermeintliche Vorzeigefamilie

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 05.09.2024, 09:01 Uhr

Spielen das perfekte Paar: Greer Garrison Winbury (Nicole Kidman) und ihr Gatte Tag (Liev Schreiber) – Bild: Netflix
Spielen das perfekte Paar: Greer Garrison Winbury (Nicole Kidman) und ihr Gatte Tag (Liev Schreiber)

Perfektion ist unerreichbar. Und doch hecheln ihr viele Menschen hinterher. Gerade dort, wo Vollkommenheit fast schon aggressiv angestrebt wird, tun sich bei genauem Hinschauen manchmal erschreckende Abgründe auf. So lehren es uns zumindest Filme und Serien, die sich dem schönen Schein und dessen Dekonstruktion widmen. Genau damit befasst sich auch die sechsteilige Netflix-Miniserie „Ein neuer Sommer“, die auf dem gleichnamigen Roman der mit Liebesgeschichten bekannt gewordenen US-Schriftstellerin Elin Hilderbrand basiert. Die Autorin hatte Jahr für Jahr klassische Strandlektüre auf den Markt geworfen, die sich meist rund um die exklusive, im Atlantik gelegene Insel Nantucket dreht – ihr eigener Wohnort. Nun, im Jahr 2024 will sie aber mit dieser Form von Literatur Schluss machen. Die luftig-leichte Herkunft spürt man der von Jenna Lamia („Good Girls“) entwickelten Streaming-Adaption durchgehend an. Der Mix aus Krimi und Familiendrama überschreitet immer wieder die Grenze zur Seifenoper – kurioserweise ohne seine grellen Aspekte voll auszukosten.

Schauplatz der Handlung ist, wie oben bereits angedeutet, das vor allem bei den Reichen und Prominenten als Sommerresidenz beliebte Eiland Nantucket, das zum nordöstlichen US-Bundesstaat Massachusetts gehört. Die Party der Saison soll im Feriendomizil der ebenso berühmten wie wohlhabenden Winbury-Familie stattfinden. Sohnemann Benji (Billy Howle) möchte seine aus eher einfachen Verhältnissen kommende Verlobte Amelia (Eve Hewson) heiraten. Alles ist angerichtet für das große Fest. Doch dann wird am Strand eine Leiche angespült, über deren Identität wir uns an dieser Stelle ausschweigen, weil Netflix darum bittet.

Das Opfer gehört, so viel darf verraten werden, zur illustren Feiergesellschaft und ruft die örtliche Polizei in Person von Chief Dan Carter (Michael Beach) auf den Plan, den die vom Festland kommende Detective Nikki Henry (Donna Lynne Champlin) bei den Ermittlungen unterstützen soll. Ein Graus sind die Absage der Hochzeit und der beginnende Rummel besonders Benjis Mutter Greer Garrison Winbury (Nicole Kidman). Obwohl die Bestsellerautorin ihre angehende Schwiegertochter kritisch sieht, sich darüber aufregt, dass Amelia sich nicht genügend in die Familie einbringt, hat die Matriarchin keine Kosten und Mühen gescheut, um ein grandioses Event auf die Beine zu stellen. Gebrauchen kann sie die Aufregung um den unnatürlichen Todesfall auch deshalb nicht, weil schon bald eine Lesung aus einem ihrer Bücher ansteht.

Greer (Nicole Kidman) stellt sich nu widerwillig den Fragen der Polizei. Netflix

Dass es im Hause Winbury darum geht, ein tolles Bild abzugeben, darauf hebt schon der englischen Originaltitel „The Perfect Couple“ ab, der viel besser passt als das Pendant der deutschsprachigen Ausgabe. Die Hochzeit von Benji und Amelia mag ihre Schatten vorauswerfen. Mit dem „perfekten Paar“ sind aber wohl auch Greer und ihr ständig kiffender, Seitensprüngen zugeneigter Gatte Tag (Liev Schreiber) gemeint, die ihre Beziehung als harmonische Erfolgsgeschichte verkaufen.

Im Inneren der vermeintlichen Vorzeigefamilie gärt und brodelt es gewaltig. Benjis Bruder Thomas (Jack Reynor) kämpft mit Suchtproblemen und findet Gefallen daran, mit provokanten Bemerkungen Steine aus der hübschen Fassade der Winbury-Sippe herauszuschlagen. Seine schwangere Gattin Abby (Dakota Fanning) genießt ihr Luxusleben in vollen Zügen und hat keine Lust, noch einmal kleinere Brötchen zu backen. Dumm nur, dass ihr Ehemann in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Will (Sam Nivola), der jüngste Spross im Bunde, wiederum schlägt sich mit typischen Teenagersorgen wie Liebesfrust herum und pflegt ein distanziertes Verhältnis zu seinem Vater. Zu allem Überfluss ringt Amelia mit Zweifeln, fragt sich vor der Hochzeit, ob sie Benji nicht viel mehr lieben und begehren müsste. Als für jedes Abenteuer zu habende Sexexpertin betritt hier und da die französische Familienfreundin Isabel (Isabelle Adjani) die Bühne. Und ein wenig undurchsichtig ist die Rolle von Benjis bestem Kumpel Shooter (Ishaan Khattar), der die Insel Hals über Kopf verlassen will.

Konfliktpotenzial, wohin man schaut. Das erkennen auch die Ermittler in den immer wieder eingeschobenen Verhören, in denen sie so manche Aussage mit belustigten Gesichtern quittieren. Nicht nur, aber vor allem die Szenen auf dem Polizeirevier zeichnen sich durch einen ironischen Unterton, eine sarkastische Note aus. Scheuen die in einem abgedunkelten Raum sitzenden Befragten doch nicht davor zurück, andere Mitglieder des Winbury-Clans oder Menschen aus ihrem direkten Umfeld lustvoll in die Pfanne zu hauen. Ein bisschen erinnern die Vernehmungsschnipsel, bei denen die Kamera den Figuren zuweilen auf die Pelle rückt, an ähnliche Einschübe im Netflix-Murder-Mystery „Knives Out“ – wobei „Ein neuer Sommer“ krampfhafter um Witz bemüht ist. Nett, unter dem Strich allerdings etwas halbgar sind die Versuche, dem Geschehen über Frotzeleien zwischen Neuankömmling Nikki Henry und den Kollegen auf Nantucket eine besondere Farbe zu verleihen.

Ist die Liebe von Amelia (Eve Hewson) und Benji (Billy Howle) echt? Netflix

Wenig verwunderlich haben alle Figuren etwas zu verbergen und kommen als Täter oder Täterin in Frage. Geld, Sex und Macht – die klassischen Motive sind auch hier präsent. Regelmäßig kippt der Intrigenstadl ins Soapige und Melodramatische. Dialogsätze der Güte „Du könntest deinen Schwanz beruhigen“ fliegen uns um die Ohren. Wie auf einem Schachbrett werden die Protagonisten hin- und hergeschoben, jede Folge gibt es neue unschöne Enthüllungen. Und doch will der Krimi nicht richtig durchstarten. Obwohl der Pulp-Faktor hoch ist, sich Spannungen aufbauen, lassen es Showrunnerin Lamia und die für alle Episoden verantwortliche Regisseurin Susanne Bier („The First Lady“) selten krachen. Dabei verlangt der Stoff eigentlich danach. Ein völlig aus dem Ruder laufendes Abendessen oder Greers bereits angesprochene Buchpräsentation zeigen, was in Sachen Unterhaltungswert möglich gewesen wäre. Allzu oft gibt sich die Netflix-Produktion jedoch ähnlich behäbig wie der herumdödelnde Kiffer Tag.

Ihr ganzes Können stellt zweifellos die in der Rolle des autoritären Kontrollfreaks treffend besetzte Nicole Kidman unter Beweis. Wiederholt reißt sie ganze Szenen an sich und arbeitet in ihrem Spiel heraus, wie kräftezehrend es für Greer sein muss, ständig auf eitel Sonnenschein zu machen. Ohne den für „The Hours“ mit einem Oscar bedachten Hollywood-Star hätte „Ein neuer Sommer“ einen noch schwereren Stand.

Die Miniserie zeigt hübsche Menschen in schicken Klamotten, die durch Postkartenkulissen und sommerliche Bilder stapfen. Dahinter gibt es aber nur wenige Dinge, die den Horizont von Binsenweisheiten und Klischees (Reiche Menschen sind fake! Bei ihnen geht es nur ums Geld! Schwiegermütter sind auf Schwiegertöchter eifersüchtig!) überschreiten. „Was ein Haufen Scheiße!“, heißt es gegen Ende mit Blick auf Greers kitschige Erfolgsromane und ihr PR-Event. Ganz so drastisch fällt das Urteil über die Netflix-Verfilmung sicher nicht aus. Wie bei zahlreichen Stoffen, die der Streamer in letzter Zeit unter die Leute gebracht hat, ist allerdings nicht mehr als Hochglanzstangenware drin. Haften bleiben könnte vom lauen Sommerlüftchen immerhin das gelungene, zugleich verspielt und unheilvoll klingende musikalische Hauptmotiv.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Folgen der Miniserie „Ein neuer Sommer“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die Miniserie „Ein neuer Sommer“ ist ab Donnerstag, dem 5. September, bei Netflix verfügbar.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Das wird dann wohl nach Ewigkeiten oder überhaupt der erste Flop von Nicole....

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