„Kanzlei Liebling Kreuzberg“ von der ARD fehlen Charme und Biss – Review
Anja Franke und Roswitha Schreiner kommen aus „Liebling Kreuzberg“ mit Manfred Krug
Rezension von Stefan Genrich – 25.09.2024, 10:00 Uhr
Die ARD geizt mit Wiederholungen von „Liebling Kreuzberg“. Vermutlich bevorzugen Fans die Fortsetzung „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ gegenüber ähnlichen Serien wie „Die Heiland: Wir sind Anwalt“. Dennoch fehlt ihnen der im Jahr 2016 verstorbene Hauptdarsteller Manfred Krug. Zudem stolpert Andrej Sorin über sein Drehbuch, obwohl der Autor seinen Vorgängern Jurek Becker und Ulrich Plenzdorf nacheifert. Robert Lieblings Enkelin ist erwachsen geworden: Nach ihrem Jurastudium in der Provinz kehrt Lisa (Luise von Finckh) nach Berlin zurück.
Vor Jahren übergab Opa die Kanzlei an Dr. Talia Jahnka (Gabriela Maria Schmeide) – unter dem Vorbehalt, dass Lisa später als gleichberechtigte Partnerin antreten kann. Dieser Trick überrascht sowohl Sarah Liebling (Roswitha Schreiner) als auch ihre rechtskundige Tochter Lisa. Das Erste zeigt am 27. September um 20:15 Uhr, wie wirtschaftliche Interessen auf Mitgefühl und Engagement prallen. Der Auftakt zur künftigen Filmreihe ist ab dem Abend vom 25. September in der ARD Mediathek zu genießen.
Andrj Sorin stolpert über sein Drehbuch
Andrej Sorin hat versucht, den Charme des Klassikers zu übernehmen. Bei aller Liebe genügen ein paar Erfahrungen mit „Heldt“ und „Großstadtrevier“ kaum, um in der Oberliga der Unterhaltung mitzumischen. Der Drehbuchschreiber dosiert ungewöhnlichen Humor und phantasievolle Ideen sparsamer als Jurek Becker und Ulrich Plenzdorf. Oft leiden eben bei einem Gebrauchsautor die literarische Qualität und inhaltliche Vielfalt. Allerdings könnten Sprüche von Männlichkeitsprotz Robert Liebling einige Zuschauerinnen und Zuschauer in unseren Tagen verstören. Ohnehin verändern sich Einstellungen – etwa gegenüber kulturellem Hintergrund oder geschlechtlichem Selbstverständnis oder sozialem Verhalten. Protestierte eigentlich niemand in den 80er-Jahren, dass ein 14-jähriger Nachwuchsdarsteller unzählige Zigaretten in einer Episode durchziehen musste?
Anwältin kämpft mit feministischen Waffen gegen Gendering
Wir streiten jetzt nicht über Sinn und Unsinn dieses Wandels! Andererseits rechtfertigen Einfühlungsvermögen und Fairness keinen schwachen Biss. Wie die Vorlage würde „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ von schnodderigen Äußerungen und Handlungen profitieren. Elegant bewältigen die Macher die Konflikte zur geschlechtergerechten Sprache. Mitunter mag Lisa nerven, wenn sie konsequent gendert – also die weibliche und männliche Form durch eine kleine Pause verschmilzt. Indes erfährt sie Widerstand, ausgerechnet mit feministischen Waffen: Talia Jahnka bevorzugt den Kampf etwa beim Abtreibungsrecht und bei Löhnen für weibliche Arbeit.
Frauen glänzen mit Eigensinn und Widerspenstigkeit
In überraschenden Zusammenhängen glänzen die Frauen dieses Films mit Eigensinn und Widerspenstigkeit. Ferner tragen die Charaktere erhebliche Widersprüche aus: Mai Ninh Phan (Nhung Hong) liebt ihren Podcast und ihr Café, während ihre Mutter Hang Thî Phan (Mai-Phuong Kollath) und ihr Vater Duc Chi Phan (Long Dang Ngoc) auf Traditionen und Herkunft beharren. Mandant Fiete Leibert (Artjom Gilz) versprüht Charme, droht aber der Kanzlei, als seine verlogenen Aktivitäten für die Umwelt auffliegen. Ein finanzieller Bluff erdrückt wiederum den betrügerischen Mieter Alexander Dietz (Peter Moltzen). Sarah Liebling entwickelt gleichzeitig Stolz und Neid auf ihre Tochter Lisa.
Gabriela Maria Schmeide und Winfried Glatzeder bieten DDR-Erfahrung
Einen Höhepunkt setzt Winfried Glatzeder („Die Legende von Paul und Paula“), der übrigens wie etliche andere DDR-Stars ausgebürgert wurde: Als 80-jähriger Querkopf Hans Saffermann spuckt er transfeindliche Töne, schimpft über Altersdiskriminierung und leidet an seinem Bedeutungsverlust. Schließlich lässt sich Talia Jahnka nicht leicht in die Karten schauen: Sie hat die Kanzlei in eine Geldmaschine umgewandelt und reagiert gereizt auf ihre unerfahrene Herausforderin Lisa. Sie degradiert die Partnerin zur Kaffee-Tante vom Dienst und verweigert die Anrede per Vorname. Später lobt sie Robert Lieblings Tugenden und vertritt Lisa vor Gericht. Nach eigener Auskunft fließen ihre DDR-Erfahrungen in die Rolle von Gabriela Maria Schmeide ein.
Wer hat „Liebling Kreuzberg“ mit Manfred Krug vergessen?
Einst übersiedelten Schriftsteller Jurek Becker („Jakob, der Lügner“) und Schauspieler Manfred Krug („Auf Achse“) mehr oder weniger freiwillig aus der DDR in die Bundesrepublik. Jurek Becker entwickelte 1986 für seinen Freund das Konzept von „Liebling Kreuzberg“. Mit fünf Staffeln schlugen die Geschichten beim TV-Publikum und bei Berufskritikern ein. Sie setzten Maßstäbe für Produktionen wie „Danni Lowinski“ und „Die Kanzlei“. Mit Jurek Becker 1997 starb wenig später auch seine Schöpfung fürs Fernsehen. Trotz ihrer Beteiligung ließen sowohl Kollege Ulrich Plenzdorf als auch Manfred Krug das Projekt in Frieden ruhen. Manchmal scheint „Liebling Kreuzberg“ vergessen worden zu sein.
Neuauflage muss an hohen Ansprüchen scheitern
Die alte Welt der Serie ist untergegangen: Oder wer kennt noch die Lebensart in West-Berlin und die Stimmung nach der Wiedervereinigung? Trotzdem schwärmen nicht alleine Nostalgiker – von zündenden Dialogen, bewegenden Figuren, hinreißenden Erzählungen und von Klaus Doldingers („Tatort“) stimmungsvoller Titelmusik. An diesen hohen Ansprüchen muss eine Neuauflage scheitern, obwohl vermeintliche oder tatsächliche Ereignisse von damals ständig zitiert werden. Das aktuelle Team verströmt eher Nettigkeiten anstelle von Kreativität.
Leistungen reichen für wohlige Unterhaltung
Immerhin prägen strittige Themen von heute „Kanzlei Liebling Kreuzberg“. Die angesprochenen Rechtsfälle wecken Interesse. Anja Franke als Anwaltsgehilfin Senta Kurzweg und Roswitha Schreiner als Familienmitglied Sarah schlagen einen Bogen zu „Liebling Kreuzberg“. Wehmut weht angenehm dank weiterer Verweise – etwa durch Tonaufzeichnungen von Manfred Krug in seiner früheren Rolle. Künstlerisch überzeugen besonders Gabriela Maria Schmeide und Winfried Glatzeder. Die Leistungen im Film reichen für wohlige Unterhaltung und vielleicht eine anschließende Diskussion über gesellschaftliche Umbrüche. Die ARD sollte bekanntgeben, ob sie wirklich neue Folgen plant.
Dieser Text beruht auf der Sichtung des ersten Spielfilms der neuen Reihe „Kanzlei Liebling Kreuzberg“.
Das Erste zeigt den 90-minütigen Auftakt zu „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ am Freitag, den 27. September um 20:15 Uhr. Die Wiederholung läuft in der Nacht zum Samstag voraussichtlich um 1:25 Uhr. One bringt den Film am Tag der Deutschen Einheit, also am 3. Oktober um 13:15 Uhr. Auf diesem Sender ist die Episode auch am Sonntag, den 6. Oktober um 12:30 Uhr zu sehen. Bereits ab Mittwoch, den 25. September um 18:00 Uhr ist sie in der ARD Mediathek verfügbar.
Trailer zu „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ in der ARD Mediathek (Einbettung über den Sender derzeit defekt)
Über den Autor
Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.
Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine
Kommentare zu dieser Newsmeldung
thdaushh am
Die eine oder andere Träne hab ich beim Schauen in der Mediathek schon mal weggedrückt, wenn im Backgroud ganz leise eine Mundharmonika den Sound der 1980er/1990er Serienmelodie anspielte ... Aber: Ansonsten war's für mich gute Unterhaltung, beim Gendern hab ich mir gedacht: Det wird sich rauswachsen, det jeht vorbei ... Naja ...User_458192 am
Ist aber auch ein ungerechter Vergleich. Alleine Manfreds Krugs linke Hand hatte mehr Charisma, als der ganze Cast da oben auf dem Foto.rima12 am
Vielleicht ist aus Robertchen im Zuge der Sebstbestimmung Lisa geworden. Darum auch das gegendere.
Ansonsten gefällt mir der Hintergrund, Senta, störend und zwar extrem ist die schnelle, ratternde Aussprache der Lisa Darstellerin. Daher klingt alles emotionslos und abgelesen ohne wirkliche innere Beteiligung.User 356192 (geb. 1976) am
GuterAnsatz, aber handwerkliche Drehbuchfehler. Kein Wort von Enkel Robert Liebling jr. Des weiteren auch Jahreszahlenfehler. Laut Grabstein starb Robert Liebling 2005, aber die Enkelin Lisa hatte mit ihm noch Dialoge als sie bereits 11 Jahre war. Wie soll das gehen? In der letzten Staffel von LK von 1998 war sie noch gar nicht geboren. Fürchterlich auch diese Genderei der Hauptdarstellerin. Manfred Krug alias Robert Liebling dreht sich Grabe herum!gilgrissom1975 (geb. 1975) am
Ich habe auch nicht verstanden warum bekommt die ein Foto in die Hand wo Robertchen huckepack auf Manfred Krug im Tierpark ist. Die Szene hätte ich sofort erkannt. Aber warum hat Robertchen nicht mitgespielt oder nicht erwähnt. Selbst von der eigenen Mutter nicht. Er ist von ihr komplett vergessen worden.
Es hätte nur gepasst 2005 wenn Robertchen am Grabstein gesessen hätte. Denn der ist in Staffel 4 geboren worden. Und in Staffel 5 war er schon so gross das er laufen konnte und im Kindergarten war..
Sun4Me am
Gut zu wissen, dass in diesem Film diskriminierende, behindertenfeindliche Sprache benutzt wird. Sonst hätte ich noch den Fehler gemacht und eventuell eingeschaltet.virago am
Der Film ist heute nicht in der Mediathek.
Entgegen der Ankündigung.Dennis Braun (geb. 1989) am
Er geht heute um 18.00 Uhr online, wir haben die Angabe ergänzt.