2022, Folge 372–388

  • Folge 372 (45 Min.)
    Lebewesen als industrielle Massenware: Rund 53 Millionen Schweine werden jährlich in Deutschland geschlachtet. Doch diese durchgetaktete Massenproduktion ist durch die Coronakrise ins Stocken geraten. Ein Fernsehteam recherchiert seit Jahren zu den Auswirkungen der Billigfleischproduktion auf Menschen, Tiere und Umwelt. Es hat mit Vertreter*innen der Fleischindustrie, mit Politiker*innen, Tierschützenden und Landwirt*innen gesprochen und zeigt: Bei zahlreichen Betrieben geht es auch anders, artgerecht und wirtschaftlich zugleich. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 10.01.2022NDR
  • Folge 373 (45 Min.)
    Werner Hülsmann nennt sich selbst zwinkernd den „Baby Schimmerlos“ von Osnabrück. Alles, was ein bisschen Rang und Namen hat oder zu Besuch ist, findet Werners Aufmerksamkeit. Seit 30 Jahren schreibt er „Werners Cocktail“, eine wöchentliche Kolumne, wer was mit wem wo gemacht hat. Der studierte Geisteswissenschaftler hat sich eine Nische gesucht, er berichtet aus dem gelben Bereich über leichte Themen, verschwurbelt, voller Ironie. Werner Hülsmann ist der letzte Kulturredakteur der Osnabrücker Nachrichten, einem Anzeigenblatt, das jede Woche hunderttausendfach umsonst in den Briefkästen liegt.
    Wenn Anna Petersen über den Acker stakt, im Rock mit Block und blonder Mähne, nimmt nicht jeder Bauer sie sofort ernst. Doch Anna kennt sich aus. Anna ist ein Landkind, in Bienenbüttel geboren, schrieb sie über den Bienenbütteler Bürgerbus ihre Bachelorarbeit, berichtet aus Bienenbüttel für die Landeszeitung Lüneburg. Die 25-Jährige zieht es nicht in die Stadt, ihr Ort ist die Provinz. Anna Petersen ist ein Schreibtalent, ihre Reportagen rühren an, werden ausgezeichnet. Die Journalistin glaubt fest an die Lokalzeitung, weil sie näher am Leser dran ist als jedes andere Medium.
    Auch in Zukunft, und sei es online. Ein Vierteljahrhundert arbeitet Thomas Willmann als Sportreporter für die Schweriner Volkszeitung. Ihn interessiert Lokalsport, die Leidenschaft, mit der sich Menschen in ihren Vereinen für Urkunden und Pokale ertüchtigen. Seine Hauptarbeitszeit ist das Wochenende. Willmann, der sich Tom nennt, ist der von der SVZ. Tom kennt jeden und alle kennen Tom. Doch die Zeiten ändern sich, der Verlag baut um. Tom muss ab jetzt auch online berichten, „Digital Storytelling“. Künftig soll er Videos und Posts von unterwegs absetzen – auf Facebook.
    Tom muss umlernen und sich ein Smartphone zulegen. Werner Hülsmann, Anna Petersen und Thomas Willmann schreiben exklusiv für die, die sich und ihre lokalen Belange im weltweiten Netz kaum finden. Für ihre Leser. Doch die Zeiten sind im radikalen Wandel und das Berufsbild ändert sich. Der rasant wachsende Online-Journalismus stellt die Reporter*innen vor neue Aufgaben – wenn ihr Berufsstand nicht aussterben soll, müssen sie sich neu erfinden. „45 Min“ begleitet drei von ihnen auf dem schwierigen Weg, das Neue zu wagen ohne das Alte zu verlieren. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 17.01.2022NDR
  • Folge 374 (45 Min.)
    60.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten haben in Afghanistan ihren Kopf hingehalten für die Bekämpfung von Terroristen und für den Aufbau des Landes. Ihre Familien zu Hause haben gezittert und gebangt, haben bei jedem Bericht in der „tagesschau“ über Anschläge angstvoll am Telefon gewartet. Die NDR Reporterin Rita Knobel-Ulrich hat für den Film „Papa ist im Krieg“ aus 2011 drei junge Männer und eine junge Frau auf ihrem Weg an den Hindukusch und ihre Familien zu Hause begleitet. Während des Einsatzes wurden drei der Kameraden bei einem Anschlag getötet. Als die Überlebenden zurückkehrten, waren sie nicht mehr dieselben Menschen.
    Die Reporterin hat diese Familien erneut besucht. Einer der Protagonisten war erst nach langem Zögern bereit, mit ihr zu sprechen, hatte Angst, dass schlimme Erinnerungen wieder hochkommen würden. Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie die siegreichen Taliban, den chaotischen Abzug der internationalen Truppen, die dramatischen Bilder am Flughafen im August 2021 sehen? Was ist schiefgelaufen? Wie empfinden sie die Niederlage? Und sind ihre Gedanken bei den Menschen, die zurückgelassen wurden, die sie womöglich persönlich kannten? Der Vater der Soldatin Corinna Kirchhöfer war schon damals skeptisch: Wenn sich die NATO eines Tages zurückziehen würde, sagte er dem Filmteam, würden in Afghanistan die Uhren wieder zurückgedreht.
    Hat er recht gehabt? Jetzt sitzt seine Tochter schockiert vor dem Fernseher über den „planlosen Abzug“ aus Kabul. Sie zuckt immer noch zusammen, wenn ein Kampfjet oder ein Hubschrauber ihr Haus überfliegt. War es das wert? fragt sie sich nach dem Sinn des 20 Jahre langen Krieges in Afghanistan. 59 Soldaten haben den Einsatz in Afghanistan nicht überlebt. Einer von ihnen war Josef Kronawitter.
    Rita Knobel-Ulrich reiste damals in sein bayerisches Heimatdorf. Seine Verlobte war schwanger. Das Kind von Josef Kronawitter wurde drei Monate nach dessen Tod, kurz vor den Dreharbeiten, geboren. Die Autorin hat die beiden jetzt wieder besucht. Der Soldat Kronawitter hatte in Afghanistan Schulen geschützt, Gerichte, in den Frauen den Vorsitz führten, hat Polizisten und Soldaten ausgebildet. Hat er sein Leben umsonst eingesetzt? Die Dokumentation liefert aufschlussreiche und berührende Einblicke in die Sicht deutscher Soldatinnen und Soldaten auf den verlorenen Krieg in Afghanistan. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 24.01.2022NDR
  • Folge 375 (45 Min.)
    Patrick ist 27 Jahre alt und arbeitet in einer Bremer Behindertenwerkstatt. Ein Leistungsträger, obwohl er geistig gehandicapt ist. Doch Patrick sehnt sich nach einem richtigen Job: „Ich möchte irgendwann raus, denn ich sehe mich nicht in der Werkstatt.“ Es ärgert ihn, dass man „mich hier nicht richtig informiert, dass jeder Mensch auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance bekommen kann. Das verstehe ich nicht. Und das mag ich nicht.“ So wie Patrick geht es vielen Menschen, die geistig oder körperlich beeinträchtigt sind.
    Obwohl der Übergang auf den Arbeitsmarkt staatlich mit viel Geld und Personal gefördert wird, haben ihn bisher von rund 320.000 Beschäftigten in den Behindertenwerkstätten nur ganze 1500 Personen geschafft. Weniger als ein halbes Prozent, eine verheerende Bilanz. Hat doch seit 2009 jeder Mensch das Recht auf einen Job auf dem freien Arbeitsmarkt. Die entsprechende UN-Behindertenrechtskonvention ist in Deutschland Gesetz. Auch Unternehmen sind gesetzlich in der Pflicht.
    „Ich habe es noch nicht ein einziges Mal geschafft, meine Miete selber aufzubringen“, erzählt Carolina. Sie hat eine Spastik und sitzt im Rollstuhl. Geistig ist sie total fit. Trotzdem bemüht auch sie sich seit zwei Jahren vergeblich um einen regulären Job. In der Behindertenwerkstatt verdient sie 179 Euro im Monat, selbstbestimmt leben kann sie damit nicht. Kritiker halten den Behindertenwerkstätten vor, sie hätten gar kein Interesse daran, ihre Beschäftigten in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln: „Das ganze Werkstättensystem lebt davon, dass der größte Teil in der Werkstatt bleibt.
    Inklusion macht die Werkstätten bedeutungslos“, konstatiert Ulrich Scheibner, einst selbst Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM). Welchen Anteil an dieser Misere haben die Werkstätten, welchen die Wirtschaft? Die „45 Min“-Reporterinnen Birthe Jessen und Christiane Schwarz haben fünf Menschen mit Handicap auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben begleitet. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 31.01.2022NDR
  • Folge 376 (45 Min.)
    „Ich hatte keine Erfahrung mit der Pflege und konnte kein Deutsch.“ Lyubow aus der Ukraine hat in Deutschland als 24-Stunden-Betreuerin gearbeitet, nachdem sie die Stelle auf Facebook entdeckt hatte. Doch die Bedingungen waren schlecht: Im ersten Monat sollte sie nur 650 Euro bekommen für einen Job mit großer Verantwortung, weit entfernt von ihrer eigenen Familie. Schätzungen zufolge arbeiten in Deutschland bis zu 700.000 Menschen wie Lyubow. Viele von ihnen schwarz. Die Frauen aus Osteuropa machen einen Job, bei dem die Bedingungen so schlecht sind, dass ihn Menschen aus Deutschland nicht wollen: Sie kümmern sich in Privathaushalten um pflegebedürftige Menschen und wohnen bei ihnen.
    Teilweise ohne Pausen und ohne freie Tage. Kontrollen gibt es in dem Bereich kaum. Und die Bedingungen für Betreuerinnen werden eher schlechter statt besser: Es herrscht Preisdruck und die Nachfrage wächst. Deshalb suchen Vermittlungsagenturen mittlerweile in Ländern außerhalb der EU nach Personal. In immer mehr Haushalten arbeiten auch Betreuerinnen aus der Ukraine. Sie sprechen oft kaum Deutsch, arbeiten für noch weniger Geld als ihre Kolleginnen aus Polen und wissen häufig nicht einmal, ob sie legal in Deutschland arbeiten. Auch für Familien von Pflegebedürftigen ist es oft schwer: Viele Angehörige wollen oder können nicht in Heimen betreut werden, also suchen sie nach Hilfe im Haus.
    Der Markt der Vermittlungsagenturen ist riesig. Doch welche Regelungen Familien beachten müssen und welche Verantwortung sie tragen, wenn sie eine Betreuerin engagieren, bleibt für sie oft unklar. Viele Angehörige fordern, die Politik müsse den Markt mehr regulieren, aber die ist in diesem Bereich bislang untätig geblieben. Die Autor*innen Alexandra Bidian und Lennart Banholzer berichten über schlechte Arbeitsbedingungen für die Betreuungskräfte und einen immer größer werdenden Bedarf deutscher Familien. Ein Dilemma für alle Seiten. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 07.02.2022NDR
  • Folge 377 (45 Min.)
    Bis in die 1980er-Jahre wurden Millionen Kinder in Erholungskuren geschickt, ein gigantisches staatliches Gesundheitsprogramm. Doch viele von ihnen wurden systematisch gequält und misshandelt und leiden noch heute. Werden die Geschehnisse endlich aufgearbeitet? „45 Min“ zeigt, wie sehr der Aufenthalt in der Kur die ehemaligen Verschickungskinder noch heute verfolgt. Viele fühlen sich noch Jahrzehnte später stark in ihrem Leben eingeschränkt. Sie haben Angst-, Schlaf- und Essstörungen, kämpfen mit Depressionen. Etliche haben Selbstmordversuche hinter sich.
    Doch über ihr Leid ist wenig bekannt. Das soll sich ändern. Ein Jahr lang haben die Autoren Betroffene bei ihrem Kampf um Anerkennung begleitet. Sie waren dabei, als sich ehemalige Verschickungskinder 2019 das erste Mal getroffen haben, um eine Initiative zu gründen. Gemeinsam wollen sie eine wissenschaftliche Aufarbeitung initiieren, um Licht in dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zu bringen. Sie fordern staatliche Unterstützung und Hilfen. Der Film beleuchtet die Erfolge und Rückschläge auf ihrem steinigen Weg. Doch die Reportage nimmt auch die Verantwortlichen in den Blick.
    Die Autoren treffen und konfrontieren die Träger ehemaliger Verschickungsheime. Werden sie sich an einer Aufarbeitung und möglichen Entschädigungen beteiligen? Was ist aus den Heimen geworden? Welche Einrichtungen existieren bis heute? Und was hat man aus den Kinderkuren gelernt? Die Reportage beleuchtet erstmals auch das System der Verschickungskuren und zeigt, warum Kinder überall im Land gequält wurden. Hochrangige Akteure aus der NS-Zeit waren in die Kurstrukturen eingebunden. Mehrere Heime wurden von ehemaligen NS-Verbrechern geleitet. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 14.02.2022NDR
  • Folge 378 (45 Min.)
    Rechtspopulismus, Corona, Klimawandel: Die Stimmung ist aufgeheizt bei den Menschen in Deutschland. Shitstorms bestimmen große Teile der Debattenkultur. „45 Min“-Reporter Hans Jakob Rausch trifft Opfer von Shitstorms, besucht ein gespaltenes Dorf, ordnet mit Expert*innen ein und fragt: Kann die Republik noch streiten ohne zu hassen? In Dannenrod in Hessen liegen die Nerven blank. Für den Ausbau der A49 wurde ein nahe gelegenes Waldstück gerodet. Aktivisten von Fridays for Future hatten sich dort verbarrikadiert und Widerstand geleistet.
    Mittlerweile geht ein Riss durch das Dorf: Die einen helfen den Klimakämpfern, die anderen halten sie für gefährlich. Ingrid Süßmann ist die Wirtin des Dorfgasthofes. Früher gab es hier einen Stammtisch. Sie glaubt nicht, dass er jemals wieder stattfinden wird: „Einige Dorfbewohner haben schon seit Monaten nicht miteinander gesprochen.“ Was hier passiert, ist offenbar symptomatisch. In einer repräsentativen Umfrage für diesen Film sagen 65 Prozent der Befragten, dass die Deutschen sich heutzutage in politischen Fragen zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen.
    52 Prozent vermeiden es sogar, gewisse Themen im Bekanntenkreis anzusprechen, um keinen Krach zu riskieren. Der Hausarzt Florian Balkau aus Osnabrück hätte seine Patientin gerne über die Vorteile einer Corona-Impfung aufgeklärt. Sie hatte Angst, davon unfruchtbar zu werden und beschwerte sich über ihren Arzt bei der Lokalzeitung: Sie fühle sich von ihm zur Impfung gedrängt. Der Streit schaukelte sich hoch. Am Ende sagte Balkau, er wolle keine radikalen Impfgegner*innen in seiner Praxis behandeln.
    Die Folge waren Hunderte Hassmails mit teilweise detaillierten Mordfantasien. Das kennt die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann aus eigener Erfahrung. Auch sie geriet in einen Shitstorm, schrieb ein Buch darüber und sagt: „Die sozialen Netzwerke haben einen riesigen Anteil daran, dass unsere Debattenkultur vor die Hunde geht.“ Inzwischen sei eindeutig, woher der meiste Hass kommt: „Die gewalttätigsten Shitstorms kommen von rechts.“ Welche Rolle spielen dabei rechte Journalist*innen? Roland Tichy ist der Gründer des Onlineportals Tichys Einblick.
    Der deutsche Journalistenverband sagt, er trage zur Polarisierung bei. Immer wieder gerät er in die Schlagzeilen, zuletzt wegen einer sexistischen Beleidigung gegen die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Im Interview gibt er zu: „Debatten leben von Zuspitzung. Sie dürfen übertreiben.“ Eine Verantwortung für die Folgen seiner Texte will er hingegen nicht übernehmen: „Wir Journalisten wissen nie, wer uns liest und was es auslöst.“ Hans Jakob Rausch berichtet aus den Grauzonen der deutschen Streitkultur über die schwierige Balance zwischen Streit und Hass. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 21.02.2022NDR
  • Folge 379 (45 Min.)
    Ex – „Tatort“-Schauspielerin Mimi Fiedler: „Der Grund, warum ich öffentlich spreche ist, um diese Krankheit zu entstigmatisieren.“
    Es sind Frauen, die beruflich erfolgreich sind und mitten im Leben stehen. Und doch tragen sie ein Geheimnis mit sich: Sie sind oder waren Alkoholikerinnen. So wie die Schauspielerin Mimi Fiedler, die Geschäftsfrau Sandra, die Journalistin Nathalie oder die dreifache Mutter Gaby. Immer mehr Frauen in Deutschland werden alkoholsüchtig. Ihr Alkoholkonsum nähert sich dem der Männer mehr und mehr an. Es sind nicht die gesellschaftlichen Außenseiterinnen, sondern 80 Prozent der Betroffenen sind Berufstätige und Mütter.
    Warum werden immer mehr erfolgreiche Frauen alkoholsüchtig?
    Alkoholismus ist in der Gesellschaft ein Randgruppenthema, Betroffene werden stigmatisiert. Doch diese Betroffenen sind oft erfolgreiche Businessfrauen, die trinken, ohne dass es jemand merkt. Wissenschaftsjournalistin Antje Büll trifft Frauen, die offen über dieses Tabuthema sprechen. „Tatort“-Schauspielerin Mimi Fiedler ist eine von ihnen: „Ich war nach außen die Schauspielerin und das Vorzeigemädel, das es geschafft hatte. Aber ich war 30 Jahre Trinkerin.“ Sie berichtet, wie sie heimlich auf den Hotelzimmern trank, von der Angst, die Texte zu vergessen und über die Scham, süchtig zu sein. „Der Grund, warum ich öffentlich darüber spreche, ist einfach, um diese Krankheit zu entstigmatisieren“, sagt die 46-Jährige. „Damit Menschen wissen, dass es nicht an ihnen liegt und dass es nicht mit dem Charakter zu tun hat, sondern eine Krankheit ist.“
    Sandra ist erfolgreiche Managerin bei einer Möbelfirma. Sie ist durch beruflichen und privaten Stress von einem „Entspannungsglas“ Wein langsam in die Abhängigkeit gerutscht. Sie hatte bereits einen Entzug hinter sich. Jetzt ist sie durch Corona und Homeoffice wieder rückfällig geworden: „Es fehlte die Tagesstruktur, die viel ausmacht. Und da kam der Wein wieder täglich in mein Leben.“ Bei einer Langzeittherapie versucht sie jetzt, vom Alkohol loszukommen.
    Je mehr Frauen in führende Positionen aufsteigen, desto mehr übernehmen sie auch den ungesunden Alkoholkonsum der Männer, zeigt die Statistik. Suchtforscher Professor Falk Kiefer aus Mannheim ist überzeugt: „Die Rollenerwartung gleicht sich an. Dazu gehört auch, wie man mit Suchtmitteln wie Alkohol umgeht.“ Er gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich in Deutschland überhaupt mit dem Thema Alkohol beschäftigen. Deutschland liegt laut WHO weltweit auf Platz vier, was den Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol betrifft. Während andere Länder mit Steuererhöhungen, Werbeeinschränkungen oder Preiserhöhungen den Alkoholkonsum reduzieren konnten, hat sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren nicht viel getan. „Man muss den Politikern die Dringlichkeit, denke ich, noch mal vor Augen führen. Es wird zu viel in Deutschland getrunken. Und wir müssen auch an der Steuerschraube drehen.“
    Die volkswirtschaftlichen Kosten für den Alkoholkonsum belaufen sich nach seinen Berechnungen auf 57 Milliarden Euro, weit mehr als beim Tabakkonsum.
    Doch das Thema Alkohol ist weder politisch noch gesellschaftlich in den Schlagzeilen. Das will auch Nathalie Stüben ändern. Die 36-jährige Journalistin war selbst jahrelang Alkoholikerin, trank regelmäßig bis zum Blackout. Doch bei der Arbeit funktionierte sie. So geht es vielen, ist sie überzeugt. „Wir haben das Bild im Kopf, dass es die Genusstrinker gibt und dann gibt’s lange gar nichts und dann gibt es die, die morgens Wodka ins Müsli kippen. Uns fehlt ein Bewusstsein für diesen riesengroßen Graubereich.“ Dafür möchte sie vor allem jüngere Menschen mit ihrem Podcast und You-Tube-Kanal sensibilisieren. Denn die meisten suchen zu spät Hilfe, ist sie überzeugt.
    Die Autorin Antje Büll trifft für diese „45 Min“-Dokumentation bemerkenswerte Frauen, die sich trauen, mit ihren Problemen und einem Tabu an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie wollen das Problembewusstsein schärfen für ein großes gesellschaftliches Thema, das mehr Akzeptanz und Aufmerksamkeit benötigt. Außerdem spricht die Autorin mit Wissenschaftlern, Suchttherapeuten, Ökonomen und Präventionsmedizinern darüber, was gerade erfolgreiche Frauen in die Sucht drängt und welche Lösungen es gibt. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 07.03.2022NDR
  • Folge 380 (45 Min.)
    Zwei Tage, nachdem Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, sitzt Maxim Poliakov im Auto. Er muss etwas tun. Irgendwie helfen. Maxim ist selbst Ukrainer, lebt seit acht Jahren in Henstedt-Ulzburg bei Hamburg. Seine Mutter ist in Charkiw in der Ukraine. Die zweitgrößte Stadt des Landes erlebt in diesen Tagen schwere Luftangriffe. Russische Bomben töten viele Zivilisten. Der 28-jährige Tennislehrer macht sich auf den Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze. Was genau er tun wird, weiß er noch nicht. An der Grenze helfen? Oder doch in der Ukraine gegen Putins Armee kämpfen? Auf dem Weg trifft Maxim andere Helfer*innen.
    Scott, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat, ist Sanitäter bei einem Rettungsdienst. Sein ganzes Auto ist voll mit medizinischen Hilfsmitteln. Am liebsten würde er in die Ukraine fahren. Aber ob die Sicherheitslage das zulässt, weiß er auf dem Weg noch nicht. Beide ringen mit sich. Anders der Mann von Tatjana. Die beiden leben eigentlich in Stralsund. Er ist Ukrainer, sie ist Russin und jetzt mit ihm an der Grenze, um sich zu verabschieden. Denn seine Familie, seine Mutter und seine Schwester, ist in der Ukraine.
    Er will zu den beiden und dann als Kämpfer sein Land gegen die Russen verteidigen. Tatjana kehrt nach dem Abschied zurück nach Stralsund und kümmert sich um den gemeinsamen achtjährigen Sohn und um Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet. In Gedanken ist sie bei ihrem Mann in der Ukraine. Sie fragt sich, warum Putin diesen Krieg über die Menschen gebracht hat. NDR Reporter*innen sind an die ukrainisch-polnische Grenze gefahren. Sie begleiten und treffen Menschen zwischen Ohnmacht und Entschlossenheit, weil Putins Angriffskrieg auch ihr Leben schlagartig verändert hat. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 14.03.2022NDR
  • Folge 381 (45 Min.)
    Das Höfesterben in Deutschland hält an. Landwirtschaftliche Betriebe, die bleiben, werden immer größer. Investoren haben Ackerland als Finanzanlage entdeckt. Die Kauf- und Pachtpreise sind enorm gestiegen und für viele Landwirte schlicht nicht mehr bezahlbar. Der Film begleitet Bio- und konventionelle Bäuerinnen und Bauern in ganz Deutschland, erklärt Fehler im System und zeigt Lösungswege auf. Die europäischen Agrarsubventionen sind mit rund 55 Milliarden Euro pro Jahr der größte Einzelposten des EU-Haushalts. Und dennoch, ein Trend hält an: das Höfesterben. Die verbleibenden Betriebe werden immer größer.
    Der Strukturwandel nach dem Prinzip wachse oder weiche schreitet voran. Seit der Finanzkrise ist Ackerland auch eine attraktive Kapitalanlage für überregionale Investoren. Die Kauf- und Pachtpreise sind in den vergangenen 15 Jahren enorm gestiegen. Ein Problem für ökologische sowie konventionelle Betriebe, denn für viele von ihnen ist Boden schlicht nicht mehr bezahlbar. In Brandenburg gehört schon die Hälfte der Flächen großen Agrarunternehmensgruppen. Das bekommt auch Biobauer Carlo Horn zu spüren. Er kommt nicht mehr an Land. Sein Betrieb ist umgeben von Agrarholdings, hinter denen finanzstarke Investoren stecken.
    Einige von ihnen haben, auch wegen Regulierungslücken, ganze Betriebe übernommen. Sie bewirtschaften bis zu 20.000 Hektar. Und je mehr Hektar Land, desto mehr Geld. Ein Großteil der EU-Subventionen, die als Einkommensunterstützung für Landwirte gedacht sind, wird nach Fläche verteilt. Eine verpflichtende Obergrenze für Direktzahlungen, wie sie die EU-Kommission und viele Parlamentarier wollten, ist gescheitert. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hatten sich dagegen ausgesprochen. Carlo Horn war auf vielen Bauerndemos, ist engagiert.
    Doch eine Veränderung sieht er nicht. Er kämpft um seine wirtschaftliche Existenz. Der Film zeigt auch Wege aus dem Strukturwandel auf. Inzwischen gründen sich bundesweit Initiativen und genossenschaftliche Projekte. In Oberfranken zum Beispiel produziert Christian Jundt auf dem Patersberghof landwirtschaftliche Bioprodukte. Mit einer Aktiengesellschaft versucht er, weiter in den Hof zu investieren und hofft so, auch irgendwann an teures Ackerland zu kommen. Die AG sucht Leute vor Ort, die sich finanziell beteiligen, um damit eine soziale, lokal verankerte bäuerliche Landwirtschaft zu fördern. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 21.03.2022NDR
  • Folge 382 (45 Min.)
    Die Urlaubssaison naht, doch die Gastronomie hat ein Problem: Es fehlen Arbeitskräfte. Im Vergleich zum Jahr vor Corona 2019 sank die Zahl der Beschäftigten in der Branche um fast ein Viertel. Die Folge: mehr Ruhetage, kleinere Karten, höhere Preise. Viele Gastronomen wissen nicht, wie sie die hohe Nachfrage nach Urlaub im eigenen Land überhaupt bedienen sollen. Kaum eine Branche hat die Maßnahmen in der Coronapandemie so sehr getroffen wie die Gastronomie. Monatelanger Lockdown, Hygienekonzept, Impfnachweiskontrolle, Unsicherheit. Viele Beschäftigte, denen coronabedingt gekündigt wurde oder die sich während des Lockdowns umorientiert haben, arbeiten inzwischen in anderen Branchen.
    Birgit Kolb-Binder gehören zwei Hotels und ein Café auf Langeoog. Bei ihr laufen die Vorbereitungen für die Urlaubssaison. Mindestens 30 Leute würde sie gerne einstellen, am besten sogar 40. Doch es kommen kaum Bewerbungen. Ihren vierten Betrieb, ein gut gehendes Restaurant oben auf der Düne mit Meerblick, hat sie im Herbst geschlossen und wird ihn nun schweren Herzens verkaufen. Sie hat einfach nicht genug Personal. Birgit Kolb-Binder setzt, wie viele Kolleginnen und Kollegen, verstärkt auf Arbeitskräfte aus dem Ausland.
    Doch gerade für Arbeitskräfte aus Drittstaaten sind die Hürden hoch. Auch Heike Horn, die Bürgermeisterin von Langeoog, ist besorgt. Schon im letzten Sommer kam es zu Engpässen bei Sitzplätzen, Gastronomen verkleinerten ihre Karte, führten Ruhetage ein. Ein Super-GAU für die Insel, die fast ausschließlich vom Tourismus lebt. Ralph Klemke und Christine Nardien führen ein Restaurant mit Brauerei mitten in Hannover. Der Winter ist bei ihnen eigentlich Hochsaison. Erst die Weihnachtsfeiern, dann bringen viele Messen Geschäftsreisende in die Stadt.
    Doch das fällt schon den zweiten Winter in Folge flach. Die Nerven der Gastronomen und der Belegschaft liegen blank: Die Corona-Einschränkungen fallen, aber wie können sie unter diesen Umständen neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen? Schon vor Corona fehlten in der Gastronomie Fachkräfte. Seit 2011 gehen die Ausbildungszahlen kontinuierlich nach unten. Zu schlechte Bezahlung, ungünstige Arbeitszeiten, wenig Wertschätzung, heißt es häufig. „Es findet ein Wechsel auf dem Arbeitsmarkt statt, weg vom Arbeitgeber- hin zum Arbeitnehmermarkt“, sagt Arbeitsmarktexpertin Dr. Lydia Malin vom Institut der deutschen Wirtschaft.
    Beschäftigte können sich inzwischen ihre Arbeitsstelle aussuchen. Viele haben den Coronalockdown genutzt und sich anders orientiert. Einer von ihnen ist René Biebricher. Der Hamburger hat 20 Jahre lang in der Gastronomie gearbeitet, nach der coronabedingten Kündigung fand er schnell einen neuen Job in einem Online-Weinhandel. Mehr Gehalt, feste Arbeitszeiten und an Wochenenden und Feiertagen frei, das ist für ihn ein Luxus, den er vorher nicht kannte.
    Alexander Scharf ist Gastronom in Goslar und hat schon vor einigen Jahren auf den Fachkräftemangel reagiert. Er stellte seine Betriebsstrukturen um, bezahlt jede Überstunde, sorgt für feste freie Wochenenden, macht regelmäßig Workshops mit seinen Mitarbeitenden. Er fordert einen Kulturwandel in der Gastronomie, wie er es nennt, hin zu einer positiveren Arbeitskultur. Probleme, seine Stellen zu besetzen, habe er nicht, sagt er. Die „45 Min“-Dokumentation zeigt Gastwirte in Not, die Suche nach Personal und sucht nach Ursachen und Lösungen für den großen Arbeitskräftemangel im Norden. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 28.03.2022NDRDeutsche Online-PremiereSa 26.03.2022ARD Mediathek
  • Folge 383 (45 Min.)
    Mark Rafflenbeul ist geschockt: Mitten im Winter entdeckt er unter der Rinde eines Baumes Borkenkäferlarven, die sich recken und strecken. Nichts jagt einem Waldbesitzer so viel Schrecken ein wie die kleinen Käfer, die seit ein paar Jahren in Deutschland den Fichtenwald vernichten. Wie soll es erst im Frühjahr und im trockenen Sommer werden, wenn die Käferlarven schon in der kalten Jahreszeit so aktiv sind? Noch nie ging es dem Wald so schlecht wie heute. Ob im Westerwald, im Harz, dem Teutoburger Wald oder in der Eifel. Wo einst Bäume standen, liegt jetzt die Erde brach.
    Und von den Bäumen, die noch stehen, ist nur noch jeder fünfte gesund. Schuld ist der Klimawandel. Schuld sind aber auch all jene, die bislang am Wald ganz gut verdient haben. Und ausgerechnet die sollen jetzt mit Steuergeldern den Wald wieder retten. Dabei bieten die staatlichen Fördermittel viel zu wenig Anreize, den Wald der Zukunft zu schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Holzindustrie auf die Anpflanzung von Fichten. Sie wachsen schnell, liefern gerade Stämme und lassen sich leicht mit Maschinen fällen. Doch sie sind anfällig, gegenüber extremen Wetterlagen und gegenüber den Schwankungen des Holzpreises.
    Für den Wald der Zukunft ist die Fichte ungeeignet. Doch was soll aus den Mondlandschaften werden, die sich immer mehr ausbreiten? Wie sieht der Wald der Zukunft aus, der den zunehmenden Extremen des Wetters trotzt und zugleich dringend benötigtes Bauholz liefert? Mittlerweile ist der Preis dafür um das Dreifache gestiegen und Handwerksbetriebe stehen vor massiven Materialengpässen. Fest steht: In Deutschland hängen rund eine Millionen Arbeitsplätze am Wald. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 04.04.2022NDR
  • Folge 384 (45 Min.)
    Was tun, wenn die Mieten immer höher steigen und das Wohnungsangebot längst nicht mehr für alle reicht? Eine spannende Dokumentation über Menschen, die händeringend eine Wohnung suchen, und über Auswege aus der Krise. Nicht nur in den Metropolen, auch in kleineren Städten und Landkreisen im Norden explodieren die Mieten. In Flensburg etwa stiegen die Preise im Mittel um 67 Prozent, im Landkreis Gifhorn um rund 60 Prozent, im Landkreis Göttingen um mehr als 50 Prozent. Auf der Straße landen mittlerweile auch zunehmend Menschen, die erwerbstätig sind, klagt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.
    Zu diesen Working Poor gehören auch Familien. Und Studien zufolge leben 4,4 Millionen Menschen in zu kleinen oder zu teuren Wohnungen. Die Versorgungslücke: riesig. Wohnen ist die soziale Frage der heutigen Zeit und hat längst die Mittelschicht erreicht. Jutta und Ernst Post aus Hamburg leben seit 30 Jahren im Stadtteil Eimsbüttel. Dann kommt die Eigenbedarfskündigung: Sie haben zwölf Monate Zeit.
    Bis dahin müssen sie ihre Mietwohnung verlassen haben. Obwohl das Ehepaar problemlos 1500 Euro Miete zahlen kann, bekommen die Posts nur Absagen. Drei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist haben die beiden noch immer nichts gefunden. „Ein Albtraum, was sollen dann erst Leute mit geringem Einkommen machen“, fragt sich Shopmanagerin Jutta Post. Leon Grampler und Nicole Henningsen aus Bremen etwa. Sie leben mit Baby in einer Wohnung mit starkem Schimmelbefall. Aus Angst vor Gesundheitsschäden nutzen sie Schlaf- und Kinderzimmer überhaupt nicht mehr.
    Das Kinderbett steht in der Diele. Daneben schlafen die Eltern auf einem Matratzenlager. 800 Euro Miete, die Hälfte ihres Einkommens, wären die beiden bereit, für eine schimmelfreie Wohnung zu bezahlen. Leon Grampler hat sich schon auf mehr als 100 Wohnungsanzeigen beworben. Bisher ohne Erfolg. Meistens bekommt er nicht einmal eine Antwort. Wie ergeht es Mieter*innen, die jetzt eine neue Bleibe suchen? Und welche Gegenstrategien führen raus aus dem Mietendrama? Diesen Fragen geht die Dokumentation von Ute Jurkovics und Thomas Karp nach.
    Vor allem Familien flüchten ins Umland, weil sie in der Stadt keine bezahlbare Wohnung finden. Lösungsstrategien gibt es. Doch bis die Wohnungsnot beseitigt ist, werden Jahre vergehen. Die Bundesregierung setzt auf Bauen. 400.000 Wohnungen sollen jährlich errichtet werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Aber wie realistisch ist das? Und geht es nicht auch umweltschonender? Zum Beispiel durch die Umgestaltung von verödeten Innenstädten zu Wohnquartieren.
    Doch der Umbau oder Abriss von Gewerbebauten ist aufwendig und teuer. Viele Gemeinden tun sich damit schwer. Manche Wohnungssuchende helfen sich einfach selbst, zum Beispiel mit der Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft. Im Gegensatz zu börsennotierten Konzernen wirtschaften Genossenschaften nicht gewinnorientiert und bieten bezahlbare Mieten. In Hamburg zum Beispiel baut ein Genossenschaftsprojekt ein stillgelegtes Parkhaus mitten in der City um. Geschäfts- und Wohnräume für alle Gesellschaftsschichten sollen entstehen.
    In Kiel hat die Wohngenossenschaft Königsmoor 37 Wohnungen für Familien, Senioren, Paare und Singles errichtet. Die Wohnungen sind eher klein, auch das senkt die Mieten. Gemeinschaftsräume und Außenflächen sorgen dennoch für genügend Platz. Wohnen auf wenigen Quadratmetern ist auch das Motto eines Projekts in Hollenbek (Schleswig-Holstein). Dort entsteht eine Tiny-House-Siedlung an einem stillgelegten Bahnhof, Mini-Häuschen für Aussteiger aus dem Mietenwahnsinn der überfüllten Städte. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 11.04.2022NDRDeutsche Online-PremiereSa 09.04.2022ARD Mediathek
  • Folge 385 (45 Min.)
    Noch nie wurde in Deutschland so viel vererbt wie in jüngster Zeit. Und auch in den kommenden Jahren wird es um große Summen gehen: Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) werden jährlich bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Die Nachkriegsgeneration hat ein riesiges Vermögen aufgebaut. Doch mehr als die Hälfte der Deutschen setzt sich nicht mit dem Thema Testament auseinander.
    Warum ist das so? Was sind die Folgen? Und wie ginge es besser?
    „Ein Testament aufzusetzen ist nicht ganz einfach, es ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod“, sagt der Hamburger Psychologe Enno Heyken. In seine Praxis kommen zerstrittene Erben, als Mediator versucht er zu vermitteln. Ohne Testament greift nämlich am Ende die gesetzliche Erbfolge. Und die ist oft ungerecht, besonders bei unverheirateten Paaren und Patchworkfamilien, erzählt er. Doch auch in Familien, die ein Testament haben, kommt es zu Konflikten. Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD Allensbach) endet fast jeder fünfte Erbschaftsfall in Deutschland im Streit.
    Der Vater von Rüdiger Günther ist vor Jahren verstorben, nach dem Tod der Mutter taucht ein Testament auf, in dem die Tochter als Alleinerbin eingesetzt wird. Rüdiger Günther soll nur seinen Pflichtanteil bekommen. Mehr als zwei Jahre kämpfen die Geschwister um Elternhaus, Geld, um den gesamten Nachlass. Der Streit zerstört die Familie, bis heute ist der Mann darüber verbittert.
    Genau so etwas will Rechtsanwalt und Notar Christian Rieckenberg verhindern, er hält Seminare zum Thema Streit in der Erbengemeinschaft und gibt Tipps, wie man ihn vermeiden kann. Auch Rüdiger Günther und seine Frau kommen in Rieckenbergs Kanzlei. Sie wollen es besser machen, ihre Kinder sollen sich nach dem Tod der Eltern nicht zerstreiten. Sie setzen ein Berliner Testament auf, das dürfen Ehepartner nur gemeinsam wieder ändern.
    Wie sieht ein gutes Testament aus? Katja Habermann, Fachanwältin für Erbrecht aus Hamburg, rät allen Mandant*innen ein „Sterben auf Probe“. Sie sollen im Geiste durchspielen, was nach ihrem Tod passieren würde und was passieren sollte. Einer ihrer Mandanten korrigiert daraufhin sein Testament gemeinsam mit der Anwältin, seine Lebensumstände haben sich geändert. Er schreibt seinen „Letzten Willen“ handschriftlich und überreicht das Dokument dem Nachlassgericht zur Verwahrung. Dort wird es sicher verwahrt, kann nicht verloren gehen.
    Immer häufiger muss Katja Habermann im Auftrag des Nachlassgerichts auch in Wohnräumen von Verstorbenen nach einem Testament oder Hinweisen auf mögliche Erben suchen. Das liege daran, dass viele Familien in der ganzen Welt verstreut leben, sich dadurch voneinander entfernt hätten, sagt sie. Ohne ein Testament kann es Jahre dauern, bis Habermann mögliche Erben ermittelt hat.
    Der Schlüsseldienst rückt an, öffnet die Haustür eines Einfamilienhauses. Ein alter Mann ist im Krankenhaus verstorben, nahe Angehörige scheint es nicht zu geben. Das Schloss gibt nach, die Eingangstür springt auf, Katja Habermann sucht das gesamte Haus ab. Auf dem Schreibtisch des Verstorbenen liegt eine Informationsbroschüre „Wie vererbe ich richtig“. Doch ein Testament findet die Anwältin nicht. Wie so oft. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 25.04.2022NDRDeutsche Online-PremiereFr 22.04.2022ARD Mediathek
  • Folge 386 (45 Min.)
    Corona bestimmt seit über zwei Jahren das Leben: Die Berichte von überfüllten Intensivstationen und Pflegepersonal am Rande ihrer Kräfte füllen die Medien. Immer mehr rücken mittlerweile jedoch die Menschen in den Fokus, die die Pandemiefolgen ebenfalls gesundheitlich zu spüren bekommen haben, weil ihre Erkrankungen nicht oder zu spät erkannt wurden. Weil sie Arztbesuche vermieden, Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen haben. Weil Therapien und Operationen aufgrund der Überlastung des Gesundheitssystems ausgesetzt oder verschoben werden mussten. Aber auch, weil manche Vorsorgepraxen in den ersten Lockdowns schlichtweg geschlossen waren. Weniger Früherkennung, weniger Tumor-Operationen.
    Die Expert*innen schlagen diesbezüglich Alarm: Krebserkrankungen im Frühstadium wurden während der Pandemie um zehn Prozent seltener operiert. Bei Haut- und Darmkrebs ist diese Zahl sogar noch höher: Hier wurden bis zu 30 Prozent weniger Tumoroperationen im frühen Stadium durchgeführt. Mitunter mit verheerenden Folgen für die Betroffenen. Denn: Im schlimmsten Fall führt schon eine geringe Zeitverzögerung dazu, die Heilungschancen entscheidend zu verringern. Und Corona belastet die ohnehin schon angeschlagene Psyche von Krebspatient*innen zusätzlich. Daran lässt sich wenig ändern. Denn auch die unterstützenden Familien und Freunde können nicht physisch vor Ort sein. Das Klinikpersonal sind die nächsten Bezugspersonen, und die versuchen, das so gut es geht aufzufangen.
    Sind Krebskranke also die unsichtbaren Opfer der Pandemie? Prof. Jochen Werner leitet das Universitätsklinikum Essen und hat damit das zweitgrößte Coronazentrum Deutschlands sowie das größte Tumorzentrum unter sich. Er kennt die Not beider Patientengruppen sehr genau. Sieht auch er es so, dass Krebspatienten durch Corona aus dem Fokus geraten? Sein Urteil lautet: Ganz klar, wir haben zu oft zu wenig über all die anderen Patientinnen und Patienten gesprochen, weil immer wieder das Thema nur auf COVID-19 ging.
    Krebspatient*innen berichten davon, welche Auswirkungen die Pandemie auf ihren Krankheitsverlauf hat. Und die Reportage begleitet Ärzt*innenund Therapeut*innen bei ihren Anstrengungen, die Betroffenen aufzufangen und trotzdem gut zu versorgen, auch in der dritten und vierten Welle. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 02.05.2022NDRDeutsche Online-PremiereSo 01.05.2022ARD Mediathek
  • Folge 387 (45 Min.)
    Der Ukraine-Krieg hat die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie in den Fokus gerückt. Seit Jahrzehnten tragen Kohle, Erdöl und vor allem Gas aus Russland wesentlich zum deutschen Energiemix bei. Jetzt die radikale Kehrtwende. Deutschland will sich aus der Abhängigkeit lösen. Doch woher soll der Strom aus der Steckdose kommen, wenn russische Energieträger ausbleiben? Wie will die Politik weitere Preisexplosionen verhindern? Wie kann der Industriehunger nach Energie gestillt werden? Und welche Rolle spielen dabei erneuerbare Energien?
    Reporterinnen und Reporter von BR, NDR, rbb, SWR und WDR waren in ganz Deutschland unterwegs, um nachzuspüren, wo die Herausforderungen liegen und wie eine sichere Versorgung gelingen kann.
    Das kleine Dorf Etzel in Ostfriesland ist für die Energieversorgung Deutschlands von großer Bedeutung. 800 Meter unter der Erde lagern bis zu 4,3 Milliarden Kubikmeter Gas sowie ein Teil der Rohölreserven der Bundesrepublik. Als Speicher dienen 75 sogenannte Kavernen, Hohlräume in einem Salzstock, jede Einzelne ist doppelt so hoch wie der Kölner Dom.
    Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Energie (Bündnis 90/​Die Grünen), hat gerade alle Hände voll zu tun, um die Energiesicherheit in Deutschland auch für die Zukunft gewährleisten zu können. Krisen- statt Klimapolitik dominiert das Tagesgeschäft, die Frühwarnstufe des „Notfallplans Gas“ hat er bereits ausrufen müssen. Sein Ministerium trägt die Schlüsselrolle zu einem Thema, das für die Entwicklung von Deutschlands Wohlstand mitentscheidend sein wird.
    In Brunsbüttel am Nord-Ostsee-Kanal kämpft Frank Schnabel schon seit mehr als zehn Jahren für ein sogenanntes LNG-Terminal. Sein Unternehmen stieß jahrelang mit Plänen für Flüssiggas bei der Politik auf taube Ohren. Jetzt könnte sich das Blatt wenden. Doch bis die Anlage steht, werden noch Jahre vergehen. Ob sie dann wirklich Sinn macht, ist umstritten.
    Die Lage der oberfränkischen Glasindustrie eskaliert. „Wir wissen nicht, was morgen passiert und was übermorgen passiert. Dieser Zustand ist nicht tragbar“, sagt Murat Agac von der HEINZ-GLAS-Group. Niemand kann mehr ausschließen, dass dem energieintensiven Betrieb im Ernstfall der Gashahn abgedreht wird. Seit Jahren schon versucht das Unternehmen, auf Energie aus Windkraft umzusteigen und setzt sich für einen Windpark ein. Das größte Hindernis ist bisher die sogenannte 10H-Regel, die es nur in Bayern gibt.
    Marita Dresen lebt mit ihrer Familie in Kuckum. Das Dorf bei Erkelenz in Nordrhein-Westfalen könnte demnächst abgebaggert werden. Denn inzwischen wird wieder laut über Braunkohle als Alternative zu russischem Gas diskutiert. Unter Kuckum und Umgebung gibt es große Kohlevorkommen. Besonders hart ist es für die 85-jährige Mutter von Marita Dresen: „Bevor die mich in das Neubaugebiet umsiedeln, ziehe ich auf den Friedhof“, sagt sie. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 09.05.2022NDRDeutsche Online-PremiereSa 07.05.2022ARD Mediathek
    Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 23.05.2022
  • Folge 388 (45 Min.)
    Früher hat Pavel auf Hochzeiten fotografiert. In seiner Heimatstadt Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, ganz im Nordosten des Landes. Bilder von glücklichen Paaren. Jetzt macht er Bilder von Ruinen, von zerstörten Wohnungen und von Menschen, die ihre Liebsten verloren haben. Auch um Kriegsverbrechen zu dokumentieren. „Ich hätte früher nie gedacht, dass ich zu so etwas fähig wäre“, sagt Pavel. Trotz allem möchte er bleiben. Ein Leben woanders kann er sich nicht vorstellen.
    Die Autor*innen Lennart Banholzer und Alexandra Bidian haben in den letzten Wochen verschiedene Menschen aus Charkiw getroffen und auf ihrem schwierigen Weg durch den Krieg begleitet. Sie sind geblieben, geflohen oder leben seit Jahren in Deutschland. Sie alle sprechen russisch und kämpfen gleichzeitig dafür, dass ihre Stadt Teil der Ukraine bleibt. Charkiw liegt nah an der russischen Grenze. Früher gab es hier einen regen Austausch zwischen den beiden Ländern.
    „Ich fühle mich wie eine Schnecke, die ihr Schneckenhaus verloren hat“, sagt Anna. Sie hatte sich dort ihr Leben aufgebaut. Sie ging oft in Cafés, in denen man sie schon kannte, arbeitete als Dolmetscherin, hatte eine schöne Wohnung. Nun ist sie geflohen, weil sie nicht mehr konnte. Rund um die Uhr die russischen Bomben und die Angst. So anders als alles, was vorher war. Zu gehen war schwer, ihr Freund musste bleiben.
    Kateryna ist Studierende in Hamburg. Früher war sie aufgeregt, wenn sie vor vielen Menschen sprechen musste. Mittlerweile ist es für sie Alltag geworden. Sie ist eine der Organisator*innen der wöchentlichen Demonstrationen für die Ukraine in Hamburg, will die Aufmerksamkeit auf die Situation der Menschen vor Ort lenken, fordert von Deutschland mehr Waffenlieferungen. Sie selbst wurde in Charkiw geboren. Ihr Vater und ihre Großeltern sind noch da. Wenn Kateryna mit ihnen telefoniert, hört sie im Hintergrund die Detonationen.
    Max schläft seit Wochen kaum noch. Ständig klingelt sein Handy. Das Haus an der polnisch-ukrainischen Grenze, in dem er jetzt mit anderen Freiwilligen und Geflüchteten lebt, steht voller Kisten mit Hilfsgütern. Vor dem Krieg war er Tennislehrer in Deutschland. Jetzt hat er die Hilfsorganisation IMES mitgegründet und alles aufgegeben, um sein Land zu unterstützen. Und das nicht zum ersten Mal. 2014 war er in Charkiw bei der Revolution, dem Euromaidan dabei. Damals war er noch Studierender und verteidigte als Demonstrierender ukrainische Regierungsgebäude gegen prorussische Angreifer.
    Lennart Banholzer und Alexandra Bidian über Menschen aus Charkiw und das, was der Krieg mit ihnen macht. Über eine jahrelange Entfremdung von Russland, das für sie nie ein Bruderstaat war. Ein hintergründiger Blick in die jüngere ukrainische Geschichte, die lange wenig Beachtung in Deutschland fand. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 16.05.2022NDR

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