The Divide – Review
TV-Kritik zum neuen US-Justizdrama – von Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 18.08.2014, 14:35 Uhr
Dass „The Divide“ eine ambitionierte Dramaserie ist, daran lassen die Autoren von Anfang an keinen Zweifel: Schon in der ersten Szene liest eine der Hauptfiguren Nietzsche, ein Zitat von ihm wird vorher eingeblendet. Danach legt die erste eigenproduzierte geskriptete Serie des ehemaligen US-Frauensenders WE tv (der jetzt vermehrt auch Männer ansprechen will) allerdings erst einmal ein Tempo vor, dass eher an etwas oberflächlichere Network-Dramen erinnert.
In rascher Folge lernen wir die wichtigsten Figuren kennen: Da wäre zuerst die angehende Juristin Christine Rosa (Marin Ireland, die eine Terroristin in der zweiten „Homeland“-Staffel spielte), die für die Nichtregierungsorganisation „The Innocence Initiative“ („Die Unschulds-Initiative“) arbeitet. Diese NGO vertritt die Rechte von Strafgefangenen, die ihrer Meinung nach zu Unrecht verurteilt wurden. Im konkreten Fall will Rosa die Unschuld eines Mannes beweisen, der in der Todeszelle auf seine in wenigen Tagen angesetzte Hinrichtung wartet. Er soll vor elf Jahren gemeinsam mit einem Komplizen in das Haus einer afroamerikanischen Mittelschichtsfamilie eingedrungen sein und bis auf die jüngste Tochter Jenny alle Familienmitglieder umgebracht haben. Die schockierende Gewalttat hätte damals beinahe zu offenen Unruhen zwischen den verschiedenen Ethnien in der Stadt geführt. Während nun die meisten Einwohner mit Genugtuung der Exekution des vermeintlichen Täters entgegensehen, versucht Rosa einen neuen DNA-Test durchzusetzen – ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Gar nicht in den Kram passt das Engagement der leicht übereifrigen Rosa dem (selbst schwarzen) Staatsanwalt Adam Page (Damon Gupton), der seine Karriere quasi der damaligen Verurteilung des Bauarbeiters Jared Bankowski (Chris Bauer) verdankt. Der titelgebende Graben („Divide“) verläuft aber nicht nur zwischen den Ethnien, sondern auch innerhalb von Pages eigenem Haushalt. Denn seine (von Bauers Ex–„Third Watch“-Kollegin Nia Long gespielte) Ehefrau Billie (ebenfalls Anwältin, allerdings für große Unternehmen) fragt sich schon bald, ob bei der von ihrem Gatten geleiteten Ermittlung gegen Bankowski wirklich mit der gebotenen Sorgfalt gearbeitet wurde – oder ob nicht doch einem unschuldigen Mann die Giftspritze droht.
Genügend Potential für vielfältige und ambivalente Konflikte und Diskussionen rund um Schuld, Moral, Verantwortung, Rache und Gerechtigkeit also, die das Grundkonzept der Serie ermöglicht. Dies nutzen die Autoren Tony Goldwyn und Richard LaGravenese in der Auftaktfolge aber zunächst nur bedingt. Stattdessen drohen sie, sich in reichlich cheesigen Szenen zu verlieren. So muss Christine natürlich zu allem Überfluss auch noch selbst einen Vater haben, der in der Todeszelle sitzt.
Zwischen diesen unnötig soapigen Elementen blitzen aber schon zu Beginn immer wieder einzelne Dialoge auf, die sehr vielversprechend sind. So etwa, wenn Staatsanwalt Page bei einem öffentlichen Auftritt vor der schwarzen Gemeinde eine flammende Rede darüber hält, dass es bei der zu sühnenden Straftat nicht um eine Angelegenheit von race gehe, sondern die Hinrichtung jeden Bürger befriedigen solle, dem Gerechtigkeit ein Anliegen sei. Ihr Versprechen einlösen kann die Serie dann zum ersten Mal vollends, wenn Bankowskis alte Mutter (Ann Dowd, auch die Mutter von William Masters „of Sex“ und bei HBOs „The Leftovers“ die Anführerin der schweigenden Sekte) ihren Sohn zum letzten Mal im Todestrakt besucht. Während sie ihm vorhält, er habe sich selbst dort hinein gebracht und den Tod deshalb unabhängig von seiner (Un-)Schuld ohnehin verdient, hat er selbst längst mit seinem Schicksal Frieden geschlossen. Die Intensität, mit der Chris Bauer es versteht, dem unzugänglich wirkenden Mann Tiefe zu verleihen (schauspielerisch ganz zurückgenommen, mit keiner unnötigen Regung im Gesicht) lässt einen bedauern, dass der HBO-Stammdarsteller („The Wire“, „True Blood“) sich schon so bald wieder aus der Serie verabschieden muss.
Dabei wird die Serie von Folge zu Folge besser: Spätestens in Episode 3 ist jeder Kitsch verschwunden, Folge 4, die hauptsächlich die Wiedereingliederungsversuche des vorübergehend aus der Haft entlassenen, als Mittäter verurteilen Terry Kucik (Joe Anderson) verfolgt, ist die bis dahin intensivste. Eine Serie, die es versteht, sich für eine Folge überwiegend auf eine Nebenfigur zu konzentrieren, ohne an Identifikationspotential einzubüßen, sollte man prinzipiell immer auf dem Schirm behalten.
In dieser Folge zeigt sich auch, dass die Macher kein Interesse an einfachen Antworten haben: Ja, Kucik scheint ein Nazi gewesen zu sein, aber er scheint sich ernsthaft ändern zu wollen. Der Unsympath ist hier nicht der mutmaßliche Schwerverbrecher, sondern sein Vater, der ihn nicht im Haus haben will. Und nur, weil man eine Hakenkreuztätowierung hat, heißt das nicht zwangsläufig, dass man nicht respektvoll mit Schwarzen sprechen kann. Absurd wirkt vielmehr das US-Rechtssystem, in dem ein unter Hausarrest Gestellter auch noch selbst für seine elektronische Fußfessel zahlen muss. Und ähnlich wie bei David Simon scheinen auch hier die leitenden Polizeibeamten mehr an ihrer Karriere und dem öffentlichen Frieden interessiert als daran, die wahren Schuldigen zu bestrafen.
Trotz aller inhaltlichen Gemeinsamkeiten unterscheidet sich „The Divide“ stilistisch fundamental von „The Wire“ (und den meisten anderen HBO-Dramaserien): Es ist wesentlich schneller erzählt und geschnitten, setzt wie Networkserien auf den Einsatz von Popsongs in emotionalen Momenten und arbeitet auch mit Cliffhangern und ähnlichen Elementen zur Spannungssteigerung. Zumindest nach der noch etwas unausgegorenen Auftakt-Doppelfolge klappt diese Kombination erstaunlich gut. Falls die Macher es schaffen, das Niveau der dritten und vierten Folge bis zum Staffelende zu halten, wäre der Serie wirklich etwas mehr Aufmerksamkeit zu wünschen. Denn Serien, die vielschichtig und tiefgründig von der Gesellschaft und ihren Institutionen erzählen, gibt es leider viel zu wenige. Und David Simon kann ja nicht die ganze Arbeit alleine machen.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden der Serie.
Meine Wertung: 3,5/5
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: AMC Sudios
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing