Matthias Distel alias Ikke Hüftgold: „Die KI versteht keinen Partyschlager“

Interview mit Musikproduzent über „Layla“, „Fernsehgarten“ und aufgedeckten TV-Skandal

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 07.08.2024, 08:00 Uhr

Matthias Distel alias Ikke Hüftgold – Bild: Summerfield Booking GmbH
Matthias Distel alias Ikke Hüftgold

Dass sich das Musikgenre Schlager in den vergangenen zehn bis 15 Jahren stark verändert hat und konsequent modernisiert wurde, ist längst kein Geheimnis mehr. Übersehen wird dabei oft ein Subgenre, das im Fernsehen kaum stattfindet, sich aber dafür insbesondere beim jungen Publikum immer größerer Beliebtheit erfreut: der Partyschlager. Das ZDF nahm sich dieses Phänomens an und beleuchtet die Szene ausführlich in der dreiteiligen Doku „Partyschlager“, die bereits in der ZDFmediathek abrufbar ist und am 7. August auch linear ab 20:15 Uhr am Stück auf dem Spartenkanal ZDFinfo ausgestrahlt wird (zur ausführlichen Kritik).

Eine der maßgeblichen Persönlichkeiten in der Partyschlager-Szene ist Matthias Distel, der einerseits in seiner Rolle als Ikke Hüftgold selbst auf der Bühne steht und andererseits zusammen mit Co-Geschäftsführer Dominik de Leon das Label Summerfield Records leitet – Marktführer unter den Plattenfirmen, die sich auf dieses Genre spezialisiert haben. Im Interview mit fernsehserien.de-Redakteur Glenn Riedmeier spricht Distel über den „Layla“-Skandal und die aktuellen Herausforderungen der Szene. Darüber hinaus erläutert der Produzent, warum diese Musikrichtung so polarisiert und was ein Partyschlager braucht, um ein echter Hit zu werden. Außerdem geht es um Distels gespaltenes Verhältnis zum „ZDF-Fernsehgarten“ und die Folgen des von ihm aufgedeckten TV-Skandals um „Plötzlich arm, plötzlich reich“.

fernsehserien.de: Hallo Matthias, der Partyschlager erlebt seit ein paar Jahren einen unglaublichen Boom. Wie erklärst du dir, dass es gerade so abgeht?

Matthias Distel: Wir haben die letzten 15 Jahre ’nen ganz guten Job gemacht in dem Bereich. Die Musik hat sich immer mehr dem Mainstream angenähert. Früher war es mehr Schunkelschlager, jetzt sind es sehr moderne Beats mit EDM-Einflüssen. Der Durchbruch kam 2016 mit „Johnny Däpp“ von Lorenz Büffel. Diese Nummer hat ganz viel Aufsehen erregt, auch unter Musikern. Das hat den Markt komplett gedreht. Wir von Summerfield waren Vorreiter mit dem sehr elektronischen Sound, gerade was die Produktionen von Mia Julia, Lorenz Büffel und Ikke Hüftgold angeht. Danach haben alle versucht, den Sound nachzumachen.

Welche anderen Veränderungen hast du im Verlauf der Jahre wahrgenommen? Hat sich das Publikum verändert?

Matthias Distel: Ja, durch den mainstreamigeren Sound haben auf einmal viel mehr Jugendliche die Musik entdeckt und für gut befunden. Auch an der Playa hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Es waren auf einmal viel, viel mehr junge Leute da. Vorher war das viel gemischter mit einem Fokus auf die älteren Generationen.

Gibt es etwas an der Partyschlager-Szene, das dich persönlich stört?

Matthias Distel: Ich weiß nicht, ob es an meinem Alter liegt, aber die Art des Feierns hat sich verändert. Sie ist aggressiver geworden, weshalb es auf Mallorca inzwischen viel mehr Sicherheitspersonal gibt. Es wurden strengere Regeln eingeführt, die auch einen Druck auf die Urlauber ausüben.

Im Vergleich zu früher werden seit ein paar Jahren unglaublich viele Songs pro Saison veröffentlicht. Verschießt man da nicht zu schnell sein Pulver oder muss das inzwischen so sein?

Matthias Distel: Wir bei Summerfield waren leider – oder Gott sei Dank – diejenigen, die schon von Anfang an mit hoher Frequenz Songs veröffentlicht haben. Allein ich habe fünf bis sechs Songs pro Jahr veröffentlicht. Das haben andere gar nicht gut gefunden. Die alte Garde mit Mickie Krause, Peter Wackel und Markus Becker hat es meistens bei einem bis zwei Songs im Jahr belassen. Ich habe aber damals gesagt: Wir haben so viele Ideen, also raus damit! Das hat eine Eigendynamik ausgelöst und inzwischen werden allenorts inflationär so viele Songs rausgehauen, die qualitativ relativ schlecht sind und dann auch kein Erfolg werden.

Ikke Hüftgold auf einem Dorffest ZDF/​Jasper Engel

Eine Frage, die sich bestimmt viele stellen, ist: Wie schafft man es, einen echten Hit im Partyschlager zu landen? Manche glauben, dass es reicht, sich irgendeinen versauten Text einfallen zu lassen und dann einen fetten Bassbeat drüberzulegen. Ist es wirklich so einfach?

Matthias Distel: Wer glaubt, dass es so einfach ist, der hat es noch nicht versucht. Hinter 95 Prozent der wirklich erfolgreichen Songs stehen sehr intelligente Menschen oder Netzwerke, sprich: die besten Produzenten und die besten Komponisten. Es gibt natürlich immer wieder One-Hit-Wonder, die einen Lucky Punch landen, aber danach nie wieder was Geiles hinbekommen. Wir sind dank der Erfahrung der vergangenen 15 Jahre natürlich eher in der Lage, viel gezielter potenzielle Hits zu schreiben. Ein Song braucht erst mal ein gutes Thema. Wenn Potenzial besteht, weiß ich, dass ich dafür auch Marketing und ein ordentliches Musikvideo brauche und am besten noch andere Leute, die den Song mitpushen. Bestes Beispiel: Die geniale Idee zu „Der Zug hat keine Bremse“ hatten die Jungs von Malle Anja, die gerne an der Playa saufen gehen. Dann kamen Mia Julia und Lorenz Büffel dazu und haben den Song noch einmal besser produzieren lassen und ihn mit ihren Namen noch größer gemacht.

Und dann gibt es noch solche Phänomene wie „Pyrotechnik“, ein viraler Trend, den du aufgegriffen und mit dem Balkonultra und Marc Eggers zu einem Song verarbeitet hast. Da ist vermutlich am wichtigsten, schnell zu reagieren, oder?

Matthias Distel: Richtig, dank der Schwarmintelligenz meiner Follower, Künstler und Netzwerke werde ich schnell darüber informiert, wenn so ein Trend im Anflug ist. Das analysiere ich dann und sehe zu, dass wir schnell sind und etwas daraus machen können, wie damals auch mit dem „Modeste Song“ und „So gehen die Gauchos“. „Pyrotechnik“ steht jetzt sogar auf der Liste der Top 10 Jugendworte des Jahres. Das sagt auch viel aus [lacht].

Seit einigen Wochen verbreiten sich auf YouTube kuriose KI-erstellte, versaute Songs. Hast du davon schon etwas mitbekommen und siehst du KI als mögliche Gefahr für eure Branche an?

Matthias Distel: Ja, ich bin voll im Thema drin. Wir arbeiten nicht mit KI, aber testen gerade alles. Eine bekannte KI-Plattform hat jetzt ein neues Tool veröffentlicht, mit dem man sogar das Instrumental von der Stimme trennen kann und somit ein Playback bekommt. Demnächst kann man sogar Stems („Einzelspuren“) einzeln bearbeiten und abmischen. Meine Freundin ist KI-affin und hat vor kurzem Songs produzieren lassen, die radiotauglich sind. Als ich die in meiner Firma vorgespielt habe, waren alle schockiert. Und wir sind gerade erst am Anfang. Wegen KI stehen viele Jobs auf der Kippe, nicht nur in der Musikproduktion. Wir werden eine Flut an KI-generierten Songs erleben. In unserem Segment haben wir ein Riesenglück: Die bekannten KI-Tools kommen aus den USA – und der amerikanische Markt kennt keinen Partyschlager. Deshalb versteht auch die KI keinen Partyschlager. Was die KI kann, sind Popschlager und Country-Schlager, die an die deutschen Schlager der 50er und 60er erinnern. Aber Partyschlager funktioniert damit nicht – wir haben alles ausprobiert. Das heißt: Wir sind vielleicht die letzte Bastion, die irgendwann fällt [lacht]!

Auf der nächsten Seite erläutert Matthias Distel, warum Partyschlager so polarisiert. Außerdem spricht er über die Aufregung über den Song „Layla“ und Konkurrenzkampf unter Mallorca-Künstlern.

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