Serienpreview: „Modern Family“ – Review

Ed O’Neill als Oberhaupt einer (un)typischen Großfamilie

Ralf Döbele
Rezension von Ralf Döbele – 05.11.2009

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Jesse Tyler Ferguson, Eric Stonestreet American Broadcasting Companies, Inc.

Mitchell Pritchett (Jesse Tyler Ferguson) und Cameron Tucker (Eric Stonestreet) warten zur selben Zeit irgendwo in einem Flugzeug auf die Starterlaubnis. Das Paar hat in Vietnam das Baby Lily adoptiert und befindet sich nun auf dem Nachhauseweg. Als eine Frau an den dreien vorbeiläuft und das „Baby mit den Cream Puffs“ kommentiert springt Mitchell gleich in den kompletten Verteidigungsmodus: Er hält vor versammelten Passagieren einen leidenschaftlichen Aufruf zur Toleranz und gegen Vorurteile. Zu spät bemerkt er, dass die kleine Lily tatsächlich Cream Puffs, also kleines Gepäck in ihren Fingerchen hält. Cameron reagiert schnell: „Wir würden gerne für alle Passagiere die Kopfhörer bezahlen!“

Wieder zu Hause will sich Mitchell zunächst davor drücken dem Rest seiner Familie von der Adoption zu berichten. Schließlich kündigt sein Vater Jay noch immer das Betreten eines Raums lauthals an, nur um sicher zu gehen, dass nicht gerade irgendwelche intime Schwulitäten stattfinden. Doch Cameron lässt die Ausrede nicht gelten und lädt einfach die ganze Familie ein. Und so erscheinen Jay, Gloria und Manny, sowie Mitchells Schwester Claire und deren Familie noch am selben Abend im Wohnzimmer der frisch gebackenen Eltern. Jay freut sich zuerst und denkt dass Mitchell die Trennung von Cameron bekannt geben will, der für ihn schon immer viel zu dramatisch war. Das ist er auch noch immer: Während die Musik aus dem „König der Löwen“ erklingt betritt Cameron den Raum und streckt Lily vor versammelter Mannschaft in den Himmel. Die Familie hat ein Mitglied mehr.

Ty Burrell, Sarah Hyland, Ariel Winter, Nolan Gould und Julie Bowen American Broadcasting Companies, Inc.

„Mockumentary“, also verfälschter Dokumentar-Stil, scheint das neue Zauberwort bei amerikanischen Comedy-Serien zu sein. Doch während „Parks and Recreation“ mit Wackelkameras, depressiver Alltagsstimmung und nicht sitzen wollenden Pointen die Schmerzgrenze der Zuschauer bis aufs äußerste strapaziert, funktioniert das dokumentarische Herangehen bei „Modern Family“ viel besser. Durch die immer wieder gezeigten Interview-Schnipsel mit den drei Eltern-Paaren lernt der Zuschauer sie gleich viel besser kennen – Neurosen inklusive, versteht sich. Mitchell und Cameron beklagen sich über Gewichtsschwankungen, während Gloria stolz berichtet, dass sie aus einem kleinen Ort in Kolumbien stammt. Der war die Nummer eins bei …. wie war das Wort noch gleich? „Morden“, ergänzt ihr Mann Jay prompt.

Doch eigentlich toleriert man sie nur, die Eigenheiten bei Kameraführung und Location, die der Dokumentar-Stil mit sich bringt. Wirklich ins Herz schließt man „Modern Family“ durch die zwei wichtigsten Qualitätsmerkmale: den Humor auf dem Blatt von Steven Leviatan und Christopher Lloyd und die hervorragende Besetzung. Es macht einfach nur Freude Ed O?Neill jenseits von Al Bundy wieder in einer neuen Hauptrolle zu sehen, die ihn trotz so mancher alteingesessener Vorurteile von einer viel netteren Seite zeigen. Er ist als Jay so ruhig und gemütlich, dass man sich wirklich wundert, was die aufbrausende und temperamentvolle Gloria an ihm findet. Aber als Paar funktionieren sie, über jede vermeintlichen Altersgrenzen hinweg.

Ed O’Neill in „Modern Family“ American Broadcasting Companies, Inc.

Julie Bowen ist als Anwältin Denise Bauer aus „Boston Legal“ noch in bester Erinnerung. Ihr gelingt das Kunststück durch ihr Spiel Mutter Claire nicht zu einem neurotischen Biest verkommen zu lassen. Stattdessen erscheint ihre Aufdringlichkeit und die Art und Weise wie sie und ihr Mann Phil ihre Kinder nerven sofort liebenswert. Auch zwischen Mitchell und Cameron stimmt die Chemie von Anfang an. Jesse Tyler Ferguson konnte bereits 2008 in der nach nur drei Folgen wieder eingestellten FOX-Sitcom „Do Not Disturb“ einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Damals wünsche man sich, dass er dort nicht Neben-, sondern Hauptdarsteller wäre. Mit „Modern Family“ hat er nun die Chance genau das zu sein.

Für ABC wurde der Start seines neuen Comedy-Mittwochs mit „Modern Family“ und „Cougar Town“ zum Erfolg. So überrascht es nicht, dass beide Formate bereits Bestellungen für komplette Staffeln erhalten haben. Viele US-Kritiker sehen in „Modern Family“ bereits die beste, neue Comedy der aktuellen Saison. Ob dem so sein mag oder nicht, eine Chance sollten sie Claire und Phil, Jay und Gloria, sowie Mitchell und Cameron auf jeden Fall geben. Man will doch nicht als ewig gestrig und altbacken gelten, oder? Außerdem kann man nie wissen, wann man selbst das nächste Mal eine ganze Kabine mit Flugzeugpassagieren bei Laune halten muss.

Meine Wertung: 4/​5

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Über den Autor

Ralf Döbele ist Jahrgang 1981 und geriet schon in frühester Kindheit in den Bann von „Der Denver-Clan“, „Star Trek“ und „Aktenzeichen XY …ungelöst“. Davon hat er sich als klassisches Fernsehkind auch bis heute nicht wieder erholt. Vor allem US-Serien aus allen sieben Jahrzehnten TV-Geschichte haben es ihm angetan. Zu Ralfs Lieblingen gehören Dramaserien wie „Friday Night Lights“ oder „The West Wing“ genauso wie die Prime Time Soaps „Melrose Place“ und „Falcon Crest“, die Comedys „I Love Lucy“ und „M*A*S*H“ oder das „Law & Order“-Franchise. Aber auch deutsche Kultserien wie „Derrick“ oder „Bella Block“ finden sich in seinem DVD-Regal, das ständig aus allen Nähten platzt. Ralf ist als freier Redakteur für fernsehserien.de tätig und kümmert sich dabei hauptsächlich um tagesaktuelle News und um Specials über die Geschichte von deutschen und amerikanischen Kultformaten.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Star Trek – Enterprise, Aktenzeichen XY … Ungelöst

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