ZDFneo-Dramedy über „Bestseller Boy“ hat selbst wenig Hitpotential – Review

Debütautor mit Migrationsgeschichte sucht Glück und Erfolg in Amsterdam

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 24.06.2024, 17:30 Uhr

Shahine El-Hamus wird zum „Bestseller Boy“ – Bild: ZDF/TM & © Paramount
Shahine El-Hamus wird zum „Bestseller Boy“

Der ambitionierte junge Autor Mohamed „Momo“ Zebbi (Shahine El-Hamus) träumt davon, dass sein erster Roman ein Bestseller wird und er vielen Menschen – in fiktionalisierter Form – von seinem Leben erzählen kann. Bis dahin ist er auf einen Job als Essenskurier angewiesen. Als er einmal mit seinem Motorroller zu einem Kunden fährt und an dessen Haustür klingelt, kommt es zu einer peinlichen Begegnung: Es ist ein ehemaliger schnöselig wirkender Mitschüler, der von seinen beruflichen Erfolgen berichtet und Momo sehr von oben herab behandelt. Ein Grund mehr für Momo, seinen Traum weiter zu verfolgen.

Bis er eventuell zum titelgebenden „Bestseller Boy“ werden kann, muss er jedoch noch viele Hindernisse überwinden. Davon erzählt die achtteilige niederländische Dramaserie (treffender: Dramedy), die ZDFneo ins Programm und in seine Mediathek nimmt. Schon seine Ausgangslage ist nicht einfach, hat er doch mit den typischen Problemen eines Angehörigen der zweiten Einwanderergeneration zu kämpfen: Zum einen fühlt er sich als Außenseiter, weil er von der Weißen Mehrheitsgesellschaft als solcher behandelt wird, obwohl er in Amsterdam geboren und sozialisiert wurde. Zum anderen stellen die marokkanischen, relativ strenggläubigen muslimischen Eltern andere Anforderungen an ihn als die Gesellschaft. Sein Ausweg ist das Schreiben, das Verwandeln eigener Erfahrungen in Literatur. Das macht es aber auch nur bedingt leichter, zumal die Eltern Analphabeten sind und nur wenig Verständnis für die schriftstellerischen Ambitionen ihres Sohnes aufbringen.

Zunächst mal fehlt Momo aber noch ein überzeugendes Ende für sein Erstlingswerk, das daraus einen richtigen Hit machen könnte. Da hilft es vielleicht sogar, dass die Liebesgeschichte zu seiner Freundin Evelien (Zoë Love Smith) gerade nicht so glücklich verläuft. Romane mit Happy End hinterlassen ja selten einen so nachhaltigen Eindruck wie solche, die tragisch ausgehen. So lässt Momo Evelien vom Dach des Amsterdamer Palasts in den Tod springen, auf dem ja eine Statue von Atlas die ganze Erdkugel auf seinen Schultern tragen muss. Das bringt allerdings die junge Frau, die im echten Leben hoch lebendig ist, auf die Barrikaden.

Kennenlernen in der Buchhandlung: Momo (Shahine El-Hamus) und Evelien (Zoë Love Smith) ZDF/​TM & © Paramount

Der nächste Schritt für Momo ist, einen Verlag für sein Werk zu finden. Aber wer interessiert sich schon für das Debüt eines völlig unbekannten Schriftstellers? Der renommierte Verleger Vlasblom (Theo Maassen) jedenfalls nicht. Er entscheidet schon nach dem Überfliegen der ersten Seiten, dass Momos Schreibstil kein Potential habe. Anders sieht das die junge Assistentin Fina (Frieda Barnhard, „Ares“), die Momo schließlich an ihre neue Chefin vermittelt, nachdem sie zu einem neu gegründeten Kleinverlag gewechselt ist. Mehr als 500 Käufer traut auch diese Maaike Hamer (Wimie Wilhelm) dem Roman aber nicht zu. Außer Freunden und Verwandten lese so gut wie niemand solche Erstlingswerke. Durch Momos Eigeninitiative und einen Zahlenfehler beim Druckauftrag stapeln sich dann aber plötzlich 50.000 Exemplare von „Mohamed – Das Problem“ im Büro.

„Bestseller Boy“ beginnt wie eine schon oft gesehene Cultural-Clash-Geschichte über das Leben eines Menschen mit Migrationsgeschichte. Alle typischen Elemente sind vorhanden: die konservativ-traditionellen Eltern, der rebellische Sohn, die aus dem gleichen kulturellen Umfeld kommenden Cousins, Kumpel, aber auch Feinde (hier: einige auf der Straße herumlungernde junge Männer), die arroganten VertreterInnen der Mehrheitsgesellschaft. Mit der zweiten Episode nimmt die Serie etwas an Fahrt auf. Dabei hilft, dass Robert Alberdingk Thijm und Mano Bouzamour (basierend auf dem Roman des Letzteren) die Handlung nicht durchgehend linear erzählen.

So stellt man sich das Büro eines Verlegers vor: Verleger Vlasblom (Theo Maassen, r.) lässt Momo abblitzen ZDF/​TM & © Paramount

Wichtige Stationen in Momos Leben sehen wir in Rückblenden. So werden wir Zeugen, wie er seine große Liebe Evelien kennengelernt hat – passenderweise in einer Buchhandlung. Hier zitiert er auswendig eine ebenso erotische wie poetische Passage aus einem Roman, den er der woman of color ans Herz legen möchte. Diese schöne Szene beweist nicht nur, dass Momo die Literatur wirklich liebt, sondern auch welche Kraft sie allgemein auf Menschen ausüben kann.

Die dritte Folge stellt dann die Marketingbemühungen des Autors und seines Kleinverlags in den Mittelpunkt, um die viel zu hoch angesetzte Auflage an Mann und Frau zu bringen. Hier wird die Serie erstmals richtig bissig, wenn sie die Mechanismen des Buchmarkts aufs Korn nimmt, die sich in Deutschland nicht wesentlich unterscheiden dürften. Es gibt die Starkritikerin der großen Tageszeitung Het Parool, die Momo zum Interview trifft, ohne sein Buch überhaupt zu Ende gelesen zu haben. Ihr Artikel dreht sich dann auch mehr um die aufmüpfige Haltung des Schriftstellers als um dessen Werk. Für noch mehr Publicity sorgt schließlich ein viral gehendes Video der muslimischen Straßengang, die Momos Bücher verbrennt – ohne Skandal kein Bestseller und Romane von Migranten werden für die Weiße Mehrheit nur dann interessant, wenn vermeintlich radikale Islamisten Werk und Autor attackieren.

Entdecken die Bücherverbrennung im Netz: Maaike (Wimie Wilhelm) und Fina (Frieda Barnhard) ZDF/​TM & © Paramount

„Bestseller Boy“ kann mit sympathischen DarstellerInnen punkten, bleibt aber inhaltlich und erzählerisch letztlich zu sehr in vertrauten Bahnen, als dass es aus dem riesigen aktuellen Serienangebot herausstechen könnte. Gute Ansätze sind vorhanden und die satirischen Elemente steigern sich von Folge zu Folge, aber insgesamt hat man das alles schon zu oft gesehen. Bezeichnend ist, dass arte fast zeitgleich die norwegische Serie „I am earth“ veröffentlicht, die anhand einer jungen Rapperin mit senegalesischen Wurzeln eine ganz ähnliche Geschichte erzählt – allerdings frischer und origineller umgesetzt.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Bestseller Boy“.

Meine Wertung: 3/​5

Die achtteilige Miniserie läuft am Dienstag, den 25. Juni ab 23:15 Uhr mit sämtlichen Folgen am Stück in ZDFneo. Einen Tag später steht die komplette Serie in der ZDFmediathek zur Verfügung.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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