Es ist paradox: In Deutschland werden fast dreimal so viele Blutdruckmittel und Cholesterinsenker eingenommen wie vor 15 Jahren. Doch die Fälle von Herzinfarkt und Schlaganfall, die Krankheiten, vor denen diese Pillen angeblich schützen, haben seitdem nicht abgenommen. Sind wir eine Gesellschaft von herzkranken Menschen? Oder profitieren nur die Hersteller vom gigantischen Absatz pharmazeutischer Mittel? Dieser Frage gehen die Autorinnen des Films Ute Jurkovics und Irene Stratenwerth nach. Sie begleiten Patienten, die verunsichert sind: So etwa die 67-jährige Annegret D., deren Messergebnisse liegen häufig über dem Grenzwert der Leitlinien zur Behandlung von Bluthochdruck. Sie fühlt sich gesund, aber die Angst lässt sie nicht los. Soll sie Beta-Blocker einnehmen, um ihr Herz zu schützen? Und den Sport aufgeben, wie ihr eine Ärztin rät? Manfred G. hingegen schluckt bereits acht verschiedene Mittel gegen Bluthochdruck, die Wechselwirkungen kann niemand mehr überblicken. Weil ihm aber auch dieser tägliche Pillenkonsum nicht hilft,
unterzieht er sich jetzt in Lübeck einer neuen, umstrittenen Operationsmethode: Bei der renalen Denervation werden Nervenstränge an den Nierenarterien mit Hochfrequenzstrom verödet, ein therapeutisches Experiment mit ungewissem Ausgang. „Wir haben Millionen Gesunde zu Kranken gemacht und verschreiben ihnen Medikamente und Medizintechnik ohne Nutzen“, erklärt die streitbare Dr. Iona Heath, ehemalige Präsidentin des britischen Hausärzteverbandes. Sie fordert eine radikale Kehrtwende in der Medizin, nämlich weniger strenge Grenzwerte. Und vor allem: mehr Zuwendung für die wirklich erkrankten Patienten statt Panikmache bei gesunden Menschen. Und: Obwohl längst bekannt ist, dass Entspannung, Bewegung und gesunde Ernährung vor Herzkrankheiten schützen, spielt Sport als Therapie im Medizinbetrieb nur eine untergeordnete Rolle. Dabei zeigen neue Studien: Körperliches Training regt, im Gegensatz zu Medikamenten und Medizintechnik, sogar die Selbstheilungskräfte bei Herzkranken an und das ganz ohne riskante Nebenwirkungen. (Text: NDR)