„Concordia – Tödliche Utopie“: Das Verbrechen in einer Stadt ohne Verbrechen – Review

International besetzte Sci-Fi-Krimiserie mit Christiane Paul bietet viel Style und zu wenig Substanz

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 13.09.2024, 19:59 Uhr

Wie weit wird sie gehen, um ihr Concordia-Projekt zu schützen? Gründerin Juliane (Christiane Paul) sieht sich gravierenden Problemen gegenüber. – Bild: ZDF
Wie weit wird sie gehen, um ihr Concordia-Projekt zu schützen? Gründerin Juliane (Christiane Paul) sieht sich gravierenden Problemen gegenüber.

Künstliche Intelligenz als Sicherheitsgarant? Mit dieser utopischen Vorstellung spielt der Science-Fiction-Krimi „Concordia“, ein neuer Sechsteiler von den Machern von „Der Schwarm“ – mithin ein Grund zur Vorfreude oder zur Panik, je nachdem, wie man selbst zur umstrittenen Frank-Schätzing-Verfilmung steht. Erneut mit europäischen Produktionspartnern und entsprechend internationaler Besetzung stehen die sechs Episoden ab jetzt in der ZDFmediathek, ehe dann im Oktober die Free-TV-Ausstrahlung ansteht. Schick designt und um Abgründigkeit bemüht, wirft die Miniserie hochinteressante Fragen auf. Sie krankt allerdings an mangelnder Spannung und eindimensionalen Figuren.

Der lateinische Name sagt es schon: „Concordia“, das heißt Harmonie. In Frieden und Eintracht sollen all jene leben können, die in das schwedische Städtchen nahe Göteborg ziehen, die diesem Sechsteiler seinen Titel gibt. Jeder Winkel von Concordia wird von Kameras überwacht, deren Daten allerdings nicht von Menschen gecheckt, sondern einer Künstlichen Intelligenz (AI) zugeführt werden, die daraus ihre eigenen Schlüsse zieht. Verbrechen soll es auf diese Weise nicht mehr geben, auch die Gesundheitsvorsorge wird über AI-gesteuerte Früherkennung revolutioniert. Weil auch die herbstbunten Wälder um den Ort herum so malerisch aussehen wie in einem stadtplanerischen Designertraum, steht die Frage schnell im Raum: Würden nicht auch wir gerne in dieser Utopie leben?

Interessant an „Concordia“ ist allemal, dass dieses (Noch-gerade-so-)Sci-Fi-Szenario nicht sofort als Schimäre entlarvt wird; dass dieser scheinbar gewinnbringende AI-Einsatz nicht nach „Black Mirror“-Manier sofort ins Dystopische gewendet wird. Die Menschen hinter Concordia sind (nicht nur auf den ersten Blick) sympathisch, das Städtchen nicht einförmig perfekt, sondern divers und nachhaltig, und die Einwohner, die in den Imagevideo-Clips, die alle sechs Folgen einleiten, die Vorzüge von Concordia preisen, wirken nicht so, als seien sie unter Gewaltandrohung dazu gezwungen worden. Vielleicht, will das alles sagen, wäre so etwas wie Concordia ja ein vorläufiger Fluchtpunkt für unsere jetzige Lebensweise: ein sicherer Hafen für Menschen aller Ethnien, Lebensweisen, sexuellen Identitäten, umwelt- und familienfreundlich und trotzdem wohlstandserhaltend. Klugerweise ist das Geschehen daher im Hier und Jetzt angesiedelt, nur leicht verschoben in eine alternative Timeline, die sich minimal von der unsrigen unterscheidet.

Juliane lässt ihren Sohn Noah (Steven Sowah) das Koplitz-Projekt managen, dessen Lebensgefährtin Isabelle (Nanna Blondell, r.) ermittelt in Sachen Mord. Thea (Ruth Bradley, 2.v.r.) stößt als interne Ermittlerin hinzu. ZDF

Die Serie, konzipiert von Nicholas Racz und Mike Walden, setzt an einem neuralgischen Punkt an. Nach 20 Jahren gilt Concordia als etabliert, jetzt soll in Deutschland, in der (fiktiven) sächsischen Kleinstadt Koplitz, ein Ableger gestartet werden. Das Projekt steht kurz vor dem Launch. Ausgerechnet jetzt wird ein Concordia-Mitarbeiter tot aufgefunden, knapp hinter der Stadtgrenze. Und dann kommt es auch noch zu einem Daten-Leak, der die Geldgeber hinter dem Projekt belastet. Kommt es zum Kollaps, platzt der Concordia-Schein?

Wenn man „Concordia“ einem Genre zuschlagen sollte, müsste man das Wort „Nordic-Noir-Sci-Fi-Krimi“ dafür erfinden. Tatsächlich wirkt das Ganze ein bisschen so, als habe man die zum Philosophieren einladende Prämisse fürs ZDF-Publikum nur einschmuggeln können, indem man eben auch ein bisschen Skandinavien-Krimi samt Tätersuche mit aufs Menü bringt. Während also die Polizei Göteborg die Vorkommnisse untersucht, schickt der Konzern aus London die interne Ermittlerin Thea Ryan nach Schweden: Ruth Bradley („Grabbers“) dient anfangs als Stand-In für uns Zuschauer, um von den Concordia-Leuten in die Abläufe der überwachten Idealstadt eingeweiht zu werden. Später wissen die Drehbücher nicht mehr viel mit Thea anzufangen.

Die Concordia-Leute sind allesamt jung und attraktiv, und wenn sie doch mal älter als 30 sein sollten, sind sie immer noch ebenso attraktiv. Christiane Paul, spätestens seit „FBI: International“ international unterwegs, spielt Juliane Ericksen, die Concordia-Gründerin, die, das schimmert recht bald durch, ein dunkles Geheimnis verbirgt. Paul liefert eines der schauspielerischen Highlights der Serie, weil sie die sehr sympathischen, autoritären, zweifelnden und manchmal auch bedrohlichen Seiten ihrer Figur nuanciert ausbalanciert. Deutlich blasser wirken – vor allem aber, weil ihre eindimensional entworfenen Rollen nicht mehr hergeben – ihre Kollegen Steven Sowah („Für Jojo“) als ihr Sohn Noah, verantwortlich für den Koplitz-Launch, Joséphine Jobert („Death in Paradise“) als Chef-Datenanalystin Mathilde und Kento Nakajima („Love Like the Falling Petals“) als arroganter Chefprogrammierer der KI.

Die Einzige, die so etwas wie eine Entwicklung durchmacht, die enttäuscht wird, Konsequenzen zieht und als eigentliche Hauptfigur dieser sechs Episoden durchgeht, ist Isabelle Larssen. Sie fungiert als „Community Officer“, eine interne Polizistin für verbrechenslose Zeiten. Die schwedische Schauspielerin Nanna Blondell („Hassel“), zuletzt in „House of the Dragon“ als Laena Velaryon zu sehen, zählt zu denen, die hier den stärksten Eindruck hinterlassen.

Nanna Blondell hat als „Community Officer“ Isabelle Larsson die intensivsten Szenen des Sechsteilers. ZDF

Während Establishing Shots per Drohne mal nach Rom, London oder Göteborg entführen, ließ der Emmy-prämierte Produzent Frank Doelger, Chef der Produktionsfirma Intaglio Films und zuvor einer der Executive Producers von „Game of Thrones“, kaum in Schweden drehen. Die meisten Aufnahmen entstanden in Norditalien und Sachsen. Letzteres Bundesland wird in der Serie von einer Frau ungeklärter Parteienherkunft (mutmaßlich nicht AfD) regiert: Karoline Eichhorn, auch sie seit „Dark“ weltweit bekannt, spielt Ministerpräsidentin Hanna Bremer, die das Concordia-Projekt in Koplitz durchgeboxt hat und jetzt um den Start bangt. Die im Schnitt kühn zusammenmontierten Locations werden Ortskundige gewiss erheitern, zum Beispiel, wenn Bremer mit dem Handy telefonierend durch die Sächsische Staatskanzlei (in Dresden) schreitet, um das Gebäude dann durch die Tür des Leipziger Rathauses zu verlassen. Ähnlich amüsant ist der Einfall, die extrem um Anonymität bemühten Cyberterroristen, die hinter dem Daten-Leak bei Concordia stecken und sich „Faceless“ nennen, ausgerechnet in einem beliebten Kulturzentrum mitten in Leipzig anzusiedeln. Ein fraglos sehr, sehr schlechtes Versteck – selbst in einer alternativen Timeline.

Das alles sind lässliche Sünden, die eben so anfallen, wenn man einen Europudding dieser Art anrührt, in dem Regionen um Repräsentanz buhlen und kein Autor alles weiß über das, was anderswo Usus ist. Viel problematischer ist, dass die Serie in diesen sechs Dreiviertelstunden sehr viel Zeit verstreichen lässt, in der nichts sonderlich Aufregendes passiert. Es wird ein bisschen herumermittelt, ohne dass irgendwer mal an der Spannungsschraube dreht, erst ab Folge vier verdichten sich zuvor stakkatoartig hineinmontierte Erinnerungssplitter zu jenem Trauma, das der Concordia-Welt zugrunde liegt. Doch selbst das wird nicht zur Abschussrampe für einen packenden Showdown: Das Ende spult sich eher gemächlich ab. Immerhin verfügt es über so viel Ambivalenzen, wie sie das ZDF sonst die ganze Woche über nicht serviert.

Starrt aus seinem Leipziger Versteck der Anti-AI-Revolution entgegen: Cyberterrorist Leon (Jonas Nay). ZDF

Die Lust am Philosophieren und Spekulieren aber, die die Prämisse von der KI-gesteuerten Concordia-Stadt eingangs anheizt, ist der Serie da schon lange abhandengekommen. Über die Bewohner der Stadt erfährt man jenseits der einleitenden Testimonials gar nichts, der eigentliche Plot bleibt strikt auf der Meta-Ebene, also: ganz bei den Machern und ihren letztlich privaten Verwicklungen. Angedickt wird er mit weiteren Figuren, denen letztlich halbherzig gefolgt wird: Fatemah Amin (Ahd Kamel, „Die Ehre der Familie“), die oberste Investorin, taucht nur am Rande auf; Theas in London zurückbleibender Mann (Hugo Becker), der sich um Kind und demente Schwiegermutter kümmern muss, scheint einer anderen Serie entnommen; die „Faceless“-Aktivisten segeln hart am Wind der Karikatur: Elodie (Alba Gaïa Bellugi,“Der Schwarm“), Ex-Freundin des Ermordeten, flieht mit ihrer derzeitigen Freundin Tessa (Maeve Metelka, „Sachertorte“) aus Schweden nach Deutschland, wo sie im dekorativ zugerümpelten Reich des Faceless-Bosses Leon landet. Dem geschätzten Jonas Nay („Tannbach“) hätte man griffigere Szenen gewünscht als jene, in denen er nun wahlweise dubios-entschlossen, dubios-zweifelnd oder dubios-dubios starren muss.

So geht es im Verlauf der Serie mal um Videogames mit Clou, Amokläufe mit Konsequenz, Festplatten mit Geheimnissen, Psychiater mit Skrupeln – und die Leiche vom Anfang bleibt selbstredend nicht die Einzige. Regisseurin Barbara Eder, die auch „Schwarm“-Episoden inszenierte, kleidet das Ganze in ein Übermaß an Großaufnahmen, die womöglich dort genau hinsehen wollen, wo es die Bücher nicht tun. Interieurs sehen (in der Firmenzentrale) so metallic-blau aus wie in nahezu allen Tech-Thrillern zuvor und (privat) wie in der Hygge-Abteilung eines Edel-Ikea. Das inszenatorische Grundproblem IT-zentrierter Filme kann auch sie nicht lösen: Leute, die tippen und stirnrunzelnd/​entgeistert auf Screens starren, bleiben eben Leute, die tippen und stirnrunzelnd/​entgeistert auf Screens starren, auch wenn die Kameraleute dabei frech das Objektiv schief halten. Die Oberfläche der KI wird gelegentlich auflockernd ins Bild gerückt, erinnert aber eher an gängige Augmented-Reality-Interfaces als an ein revolutionäres System.

Wenig geht es bei all dem sowieso um die Fragen, derentwegen viele eingeschaltet haben dürften: Wie viel Überwachung sind wir gegen welchen Gegenwert gewillt zu ertragen? An wen/​was delegieren wir Verantwortung? Inwiefern bleibt absolute Sicherheit eine Illusion? Zerstört Perfektion Menschlichkeit? Wer programmiert die KI, und wird sich die KI irgendwann der Menschheit, dieser ultimativ störenden Variablen, entledigen? Solchen Gedanken soll man, scheint die Serie zu sagen, am besten selbst nachgehen und den banalen Krimiplot, dem sie nachgeht, nur als Anstoß dafür nehmen. Kein Reinfall, das alles. Aber schon ein bisschen dünn.

Dieser Text basiert auf der Sichtung des kompletten Sechsteilers „Concordia“.

Meine Wertung: 2,5/​5

„Concordia – Tödliche Utopie“ wird am 14. September in der ZDFmediathek auf Abruf bereitgestellt. Die lineare Erstausstrahlung im ZDF erfolgt erst am 20. und 21. Oktober jeweils im Dreierpack ab 22:15 Uhr.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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